Herausforderungen der Volkshochschule *

Autor: Dr. Hermann Huba, Verbandsdirektor, Volkshochschulverband Baden-Württemberg

Die Zukunft ist ungewiss. Das unterscheidet sie von der Vergangenheit und der Gegenwart. Die Ungewissheit der Zukunft zu bannen, haben die Menschen seit jeher versucht. Frühe Gesellschaften durch Magie, spätere durch Religion. Seit der Aufklärung versuchen wir es mit Bildung. Und zurzeit speziell mit lebenslangem Lernen.

Lebenslanges Lernen heißt demnach soviel wie: Weil keiner weiß, wie es weitergeht, müssen sich die Menschen ständig verändern.

Wenn diese Beobachtung zutrifft, erfordert unser Thema eine doppelte Unterscheidung. Zum einen soll nicht unvermittelt von der Zukunft im Sinne zukünftiger Gegenwart gesprochen werden, sondern lediglich von der gegenwärtigen Zukunft. Und zum anderen soll nicht von der gegenwärtigen Zukunft die Rede sein, sondern lediglich der Versuch unternommen werden, einzelne Korridore in diese gegenwärtige Zukunft zu treiben.

 

1. Korridor: Die Herausforderung des beschleunigten Wandels

a) Bedingt  durch  Forschung,  technische  Entwicklung und Wettbewerb verändert sich unsere Wirtschafts- und Arbeitswelt in atemberaubendem Tempo. An die- se Veränderungen müssen sich die Menschen immer wieder – lebensbegleitend – anpassen. Allen Bevölkerungskreisen die Möglichkeit zu dieser beruflichen Anpassungsqualifizierung zu bieten, ist und bleibt eine unabweisbare Aufgabe der Volkshochschule.

b) Beschleunigte dramatische Veränderungen prägen aber nicht nur unsere Wirtschafts- und Arbeitswelt. Die Elektronische Datenverarbeitung und die Möglichkeiten des Internets verlangen bis heute von je- dem von uns erhebliche Lernleistungen auch im privaten Bereich. Dem dient das Weiterbildungssystem, das mehr ist als nur eine Qualifizierungsmaschine. Es vermittelt uns nämlich auch neue Kulturtechniken und  eine  Allgemeinbildung  auf  der Höhe  der  gesellschaftlichen  Entwicklung. Und die stetige Erhöhung und Verbreiterung unseres Allgemeinbildungsniveaus ist der Humus unserer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Denn ein Land, in dem kein Öl aus dem Boden sprudelt, ist darauf angewiesen, dass Ideen aus den Köpfen sprudeln.

 

2. Korridor: Die Herausforderung der Spezialisierung

Ein Motor unserer rasanten gesellschaftlichen Entwicklung ist bekanntermaßen das Prinzip der Spezialisierung.  Die einzelnen Wissenschaften, insbesondere die Naturwissenschaften produzieren aufgrund ihrer Spezialisierung ständig neues Wissen, das darüber hinaus zunehmend ethische Fragen aufwirft, die die Gesellschaft beantworten muss.

Die Beantwortung dieser Fragen setzt in einem demokratischen Gemeinwesen eine informierte und entscheidungsfähige Gesellschaft voraus. Unsere Gesellschaft indessen besteht aus Menschen wie wir alle, nämlich aus Menschen, die in einem engen Bereich über spezielles Wissen und über spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen, ansonsten aber blutige Laien sind. Deshalb bedürfen wir alle zukünftig mit steigender Dringlichkeit einer Einrichtung, die Spezialwissen und – nicht zu vergessen – auch eine höchst anspruchsvolle Kunst und Kultur übersetzt in unseren Verständnishorizont, mithin allgemein verständlich macht. Auch dieser Transfer speziellen Wissens in Allgemeinverständlichkeit ist Aufgabe der Volkshochschule.

 

3. Korridor: Die Herausforderung der demographischen Entwicklung

Auch zur Bewältigung des demographischen Wandels unserer Gesellschaft muss die Volkshochschule einen erheblichen Beitrag leisten. Die deutlich kleinere und ebenso deutlich ältere zukünftige Gesellschaft  wird etwa das gegenwärtige Kostenniveau unseres Gesundheitssystems nicht aufrecht erhalten können. Selbstverständlich wird die auf Prävention zentrierte Gesundheitsbildung der Volkshochschulen dieses Problem alleine nicht lösen können. Aber umgekehrt bleibt ohne eine starke Verbreitung dieses Ansatzes in der Bevölkerung eine Lösung dieses Problems auf Dauer auch ausgeschlossen.

Aufgrund der niedrigen Geburtenrate absehbar ist dar- über hinaus die Notwendigkeit erheblich steigender Unterstützungsleistungen der schrumpfenden und selbst alternden mittleren Generation, also der Erwerbs-bevölkerung, an die wachsende ältere Generation.

Die Voraussetzung dieser Leistung lautet auf eine Verbesserung des intergenerativen Dialogs und des Verständnisses zwischen den Generationen.

Soll also die nachhaltige Inanspruchnahme der erwerbstätigen Generation zugunsten der älteren bestehende Entsolidarisierungstendenzen nicht gefährlich verstärken, erscheint zweierlei notwendig:

  • die umfassende und vertiefte Thematisierung des Generationenvertrages, seiner Wirkungsweise und seiner Störung sowie
  • die dauernde, nicht abreißende intergenerative Begegnung, die zugleich geeignet ist, unreflektierten Individualisierungstrends entgegen zu wirken.

 

4. Korridor: Die Herausforderung der Integration und der Inklusion

Der also verbesserungsbedürftige Dialog zwischen den Generationen,  der  wachsende Analphabetismus  und die hohe soziale Selektivität unseres Bildungssystems, um nur drei Inklusionsaufgaben zu nennen, auf die die Volkshochschule spezialisiert ist, harren ebenso einer Bearbeitung und Lösung wie die Herausforderung der Integration der bereits unter uns lebenden und der noch kommenden Migrantinnen und Migranten.

Dass das Erlernen der deutschen Sprache die wesentliche Voraussetzung für Qualifikation und diese die wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Eingliederung in den Arbeitsmarkt und jene essentiell für die gesellschaftliche Integration ist, steht heute außer Frage. Hinzutreten müssen die Vermittlung von Kenntnissen des gesellschaftlichen und politischen Systems der Bundesrepublik und alltagspraktische Orientierungshilfen. Integration ist indessen keine Einbahnstraße. Die aufnehmende Gesellschaft muss ihrerseits für andere Kulturen anschlussfähig sein bzw. werden. Auch die konstruktive Begegnung mit dem Fremden ist erlernbar und muss erlernt werden. Das ist unser Beitrag.

Von allen demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Überlegungen einmal abgesehen,  sticht  hier auch ein wirtschaftlicher Kalkül: Die Folgekosten unterbliebener Inklusion und Integration übersteigen die Kosten erfolgreicher Inklusion und Integration um ein Vielfaches.

 

5. Korridor: Die Herausforderung der Globalisierung

Ein Blick auf den Weg zu einem vereinten Europa zeigt, wie sehr die Ausdehnung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Räume ein komplementäres Bedürfnis der Menschen nach überschaubaren Einheiten weckt. Deshalb ist eine Gesellschaft, die den Weg der Globalisierung geht, auf weltoffene Kommunalität angewiesen.

Weltoffene Kommunalität bedeutet dabei nicht mehr, aber auch nicht weniger als begegnungsfähige Identität. Und Begegnungsfähigkeit wie die ja nur aus dem Vergleich zu gewinnende Identität verweisen beide auf die Notwendigkeit der Begegnung mit dem Unbekannten, dem Anderen, also auf die Notwendigkeit der Begegnung mit den Sachen und mit anderen Menschen, ein- schließlich anderer Kulturen. Nur die individuelle und kollektive Steigerung dieser Begegnungsfähigkeit berechtigt unsere Gesellschaft zu der Hoffnung, für die zukünftige Gegenwart gerüstet zu sein.

 

6. Korridor: Die organisatorische Herausforderung

Die bisherige Analyse darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die künftigen inhaltlichen Themen der Weiterbildung im Prinzip so ungewiss sind wie die Zukunft selbst. Und weil die Gegenstände der Weiterbildung so unbestimmbar sind wie die Zukunft, deshalb bedeutet lebensbegleitendes Lernen im Kern permanente Veränderungsbereitschaft.

Dieser leere Lernbegriff rückt modale Fragen in den Vordergrund vor inhaltliche, etwa die Frage nach den Formen adressatengerechter Angebote und die Frage nach angemessenen Bildungszeiten. So gesehen spricht vieles dafür, dass die existentielle künftige Herausforderung der Volkshochschule keine inhaltliche, sondern eine formale, eine organisatorische ist: Nicht womit die Volkshochschule ihre Adressaten erreicht ist entscheidend, sondern wie ihr das gelingen kann.

Dabei dürfte die adäquate institutionell-organisatorische Form inhaltlich offenen und organisatorisch flexiblen lebensbegleitenden Lernens das kommunale / regionale Netzwerk sein, das zum einen die organisatorisch selbstständigen Weiterbildungseinrichtungen untereinander und zum anderen diese u. a. mit Kindertagesstätten, Schule, Universität und dualer Berufsausbildung verknüpft.

Solche Netzwerke funktionieren allerdings nur  unter drei kumulativen Voraussetzungen:

a) unter der Voraussetzung eines hinreichenden Maßes an Gemeinsamkeiten der Partner/-innen hin- sichtlich Werten, Interessen, Normen, Zielen und Methoden (relative Homogenität);

b) unter der Voraussetzung eines mindestens mittelfristig ausgeglichenen Gebens und Nehmens (relative Äquivalenz);

und

c)  unter der Voraussetzung hinreichend scharfer unter- schiedlicher Profile der Partner/-innen sowie der Wahrung ihrer inhaltlichen Identität und organisatorischen Selbstständigkeit, weil Fusionen notwendige Komplexität vernichten (relative Autonomie).

 

7. Korridor: Die finanzielle Herausforderung

Neben die organisatorische tritt die finanzielle Herausforderung. Sie besteht in Baden-Württemberg vor allem in zweierlei.

Zum einen darin, das sich die baden-württembergischen Volkshochschulen im Landesdurchschnitt bereits zu zwei Drittel selbst finanzieren und nur noch zu einem Drittel auf öffentliche Förderung zurückgreifen können. Eine Steigerung dieser sehr hohen Eigenfinanzierungsquote von zwei Drittel ist verantwortlich nicht mehr möglich. Das bedeutet im Klartext: Finanz- und Wirtschaftskrise hin oder her, weitere Kürzungen der öffentlichen Förderung gefährden die Einrichtungen erst in ihrer Leistungsfähigkeit und dann in ihrer Existenz.

Zum anderen besteht die finanzielle Herausforderung darin, dass höhere Eigenfinanzierungsquoten auch höhere Teilnahmegebühren bedeuten. Und so wird Weiterbildung an der Volkshochschule immer mehr etwas für Besserverdienende. Wirtschaftlich und sozial Schwächere müssen draußen bleiben. Die hohe soziale Selektivität des baden-württembergischen Bildungssystems – mehrfach erwiesen – setzt sich in der Weiterbildung also fort und verfestigt sich. Das darf sich Baden- Württemberg nicht leisten!

Während die organisatorische Herausforderung viel von den Volkshochschulen selbst verlangt, ist die finanzielle Herausforderung ohne die Politik nicht zu bestehen. In jedem Fall sind die genannten sieben Felder die strate- gischen Entwicklungsfelder der Volkshochschule.

 

* Dem Vorsitzenden des Volkshochschulverbandes Baden-Württemberg, Herrn Frieder Birzele, zum 70. Geburtstag