Die Integrationsleistung des Zweiten Bildungsweges

Autor: Dr. Bodo Degenhardt

Auf dem Zweiten Bildungsweg können Personen ohne Hauptschulabschluss („Berufsreife“), Realschulabschluss („Mittlere Reife“) oder Abitur („Hochschulreife“) diese staatlich anerkannten zentralen Qualifikationen des ersten (schulischen) Bildungswegs nachholen. Allerdings ist der Begriff „Zweiter Bildungsweg“ – zumal auf Bundesebene und im Ländervergleich – nicht eindeutig geregelt.

Angebote zum Nachholen von Schulabschlüssen gehören seit jeher zum Aufgabenfeld der Volkshochschulen als öffentlich verantworteter Weiterbildungseinrichtung. Dies gilt insbesondere in Baden-Württemberg, das im Gegensatz zu fast allen anderen Bundesländern keinen staatlich organisierten Zweiten Bildungsweg aufweist. So verfügen die Volkshochschulen landesweit über die meisten Angebote zum Nachholen von Schulabschlüssen. Diese konzentrieren sich allerdings aus sozial- räumlichen, strukturellen, finanziellen und personellen Gründen auf mittlere und große Einrichtungen. Vorbereitungskurse auf den Hauptschulabschluss als Schulfremdenprüfung bieten derzeit 27 Volkshochschulen an; 13 Volkshochschulen sind Träger einer Abendrealschule und an 17 Volkshochschulen gibt es ein Abendgymnasium.

Der demographische Wandel fordert die Entfaltung, Entwicklung und Nutzung der vorhandenen Leistungs- potenziale und Begabungsreserven möglichst aller Menschen in unserer Gesellschaft – insbesondere der nachwachsenden jungen Generation. Durch die Möglichkeit des Nachholens von Schulabschlüssen auf dem Zweiten Bildungsweg wirkt dieser der Verschwendung individueller und gesellschaftlicher Ressourcen entgegen und gibt vielen Menschen eine zweite Chance, damit ihnen eine erfolgreiche Eingliederung in die Arbeits- und Lebenswelt gelingt. Dabei hat der Zweite Bildungsweg eine besonders hohe integrative Wirkung in Bezug auf Menschen mit Migrationshintergrund. Ihr Anteil liegt in den Abendrealschulen und Abendgymnasien inzwischen bei durchschnittlich über einem Drittel, in den Vorbereitungskursen zur Hauptschulabschlussprüfung meist noch weit darüber, und zwar mit insgesamt ständig steigender Tendenz. Die  Gründe dafür sind vielfältig: Im Ausland erworbene Schul- und Bildungsabschlüsse werden häufig nicht anerkannt oder deutlich abgestuft, biografische Brüche haben einen geregelten Schulabschluss verhindert und nicht zuletzt gehören Menschen mit  Migrationshintergrund oftmals zu bildungsfernen und ökonomisch benachteiligten Gruppen, die von der sozialen Selektivität des ersten Bildungswegs besonders betroffen sind.

Im Rahmen des Zweiten Bildungswegs leisten Volkshochschulen in zweifacher Hinsicht bildungs- und sozialpolitisch wirksame Integrationsarbeit: Durch das Nachholen von Schulabschlüssen wird zum einen die wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche, dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt als Grundlage gesellschaftlicher Integration geschaffen. Dies er- folgt durch eine – je nach angestrebtem Abschluss – ein- bis mehrjährige Phase intensiven gemeinsamen Lernens mit anderen Menschen unterschiedlicher nationaler, kultureller und sozialer Herkunft, so dass zum anderen Tag für Tag auch durch Begegnung und Aus- tausch im gemeinsamen Bildungsprozess konkrete Integrationsarbeit stattfindet. Insgesamt wird deutlich: Integration braucht  einen  Motor  –  und  der  heißt: Bildung.