GER – Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen – Sprachkompetenz nach Europäischen Standards
Autorin: Marlis Schill
Die Volkshochschulen in Baden-Württemberg orientieren ihre Sprachkurse ab dem Herbstprogramm 2004 sukzessive an den Vorgaben des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für die Beschreibung von Sprachkompetenzen, passen ihre Stufenbezeichnungen denen des Referenzrahmens an und erleichtern somit neuen Teilnehmenden an Sprachkursen das Finden des richtigen Kursniveaus sowie das Verfolgen der eigenen Lernfortschritte. Die Niveaustufen sind europaweit gültig und vergleichbar, spiegeln sich in den angebotenen Sprachprüfungen wider und bieten somit auch Arbeitgebern genaue Anhaltspunkte über die zu erwartenden Fremdsprachenleistungen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Im September 2000, wenige Monate vor Beginn des Europäischen Jahres der Sprachen 2001, wurde die derzeit gültige Fassung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für das Lernen und Lehren von Fremdsprachen – kurz GER – und für die detaillierte Beschreibung von Sprachkompetenzen auf sechs Niveaustufen vom Europarat vorgelegt. In einschlägigen Texten ist er auch unter der englischen Bezeichnung Common European Framework of Reference for Language Learning and Teaching (CEF) zu finden.
Mit dem GER wurde ein Instrument geschaffen, das es erstmals ermöglicht, Sprachkompetenz nach einem europaweit gültigen Kriterienkatalog zu beurteilen und zu vergleichen. Genau definierte Deskriptoren (auch Can-dos oder Kann- Beschreibungen genannt) beschreiben auf sechs Niveaustufen (A1, A2, B1, B2, C1, C2) in den fünf sprachlichen Fertigkeitsbereichen Hören, Lesen, interaktives Sprechen, monologisches Sprechen und Schreiben detailliert, was Lernende bei aktiver Teilnahme am Sprachunterricht tatsächlich in der Fremdsprache am Ende einer bestimmten Stufe zu tun in der Lage sind. Die so erworbenen Kenntnisse können sich die Lernenden durch die Teilnahme an international anerkannten, im GER verankerten Sprachprüfungen zertifizieren lassen. Die Niveaustufen A1 und A2 beschreiben Sprachkenntnisse der elementaren Sprachverwendung, die Niveaustufen B1 und B2 definieren Sprachkompetenzen im Bereich der selbst- ständigen Sprachverwendung und die Niveaustufen C1 und C2 beschreiben die Elemente kompetenter Sprachverwendung.
Der enorme Fortschritt und die herausragende Bedeutung des GER für die Beurteilung von Sprachkenntnissen im gesamten europäischen Sprachgebiet können nicht genug betont werden. Wo derzeit noch häufig zur Beschreibung der eigenen Sprachkompetenz Aussagen wie ‚Ich habe 5 Jahre Französisch in der Schule gehabt’ oder ‚Wir haben in Englisch 2000 Wörter gelernt’ getroffen werden, die keinerlei inhaltliche Beschreibung der tatsächlich erworbenen Sprachkompetenzen enthalten und somit zur Beurteilung des tatsächlichen Kenntnisstandes einer/eines Sprachlernenden denkbar ungeeignet sind, wird es künftig möglich sein, allein aufgrund der angegebenen Niveaustufen-Bezeichnung ein Bild der vorhandenen Sprachfertigkeiten zu entwerfen.
In der Zukunft wird z. B. ein Arbeitgeber genau wissen, dass er von einem/einer Stellenbewerber/in mit bescheinigten Eng-lischkenntnissen auf der Stufe B1 (= Realschulabschluss) erwarten kann, dass diese/r in der Lage ist, Standardbriefe aus dem eigenen Arbeitsbereich zu verstehen, Standardanfragen und -angebote sowie kürzere Texte zu vertrauten Themen schriftlich zu verfassen und mündlich Informationen über die eigene Tätigkeit, Abteilung, Firma, Produkte usw. im persönlichen Gespräch oder am Telefon zu geben. Genauso kann künftig in Stellenanzeigen die gesuchte Sprachkompetenz auf einfache Weise durch die Angabe der Niveaustufe beschrieben werden. Dies gilt nicht nur in Deutschland, sondern im gesamten europäischen Sprachraum, was wiederum die Mobilität der Arbeitnehmer/innen fördert. Enttäuschte Erwartungen, die sich im Arbeitsprozess aufgrund von Zeugnisnoten in den Fremdsprachen bisher leicht einstellen konnten, werden durch die genauen Kompetenzbeschreibungen im GER abgefangen.
Der Volkshochschulverband Baden-Württemberg empfiehlt seinen Mitgliedseinrichtungen, vom Herbst 2004 an die Richtlinien des GER in der vhs sprachenschule umzusetzen. Die bisher gebräuchlichen Stufenbezeichnungen Grundstufe, Mittelstufe und Aufbaustufe für Sprachkurse der vhs sprachenschule werden ersetzt durch die sechs Niveaustufenbezeichnungen des GER. Die eindeutigen Kann-Beschreibungen ermöglichen es den Volkshochschulen, Sprachkurse in allen europäischen Sprachen eindeutig nach ihrem Niveau zu definieren. Den Lernenden helfen sie, den richtigen Kurs für sich zu finden, und dies sowohl in Baden-Württemberg als auch bei einem Wohnortwechsel in jedem anderen Bundesland, denn die Umsetzung der Richtlinien des GER erfolgt im Einvernehmen gleichzeitig in allen vhs-Landesverbänden.
Auf der Stufe A1 beim interaktiven Sprechen wird beispiels- weise gelernt, sich auf einfachste Art über vertraute Themen zu verständigen, wobei auch die Körpersprache und Gestik das Verstehen mit unterstützen. Auf Stufe C 1 wird gelernt, wie man sich spontan in den meisten Situationen ausdrücken kann. Während auf Stufe A2 kurze Notizen und Mitteilungen schriftlich abgefasst werden können, kann jemand, der die Stufe C2 erreicht hat, anspruchsvolle Briefe und komplexe Berichte verfassen und sich differenziert zu jedem Thema äußern. Werden im Fertigkeitsbereich Hören/Verstehen auf Stufe B2 im Fernsehen die meisten Sendungen und Filme verstanden, wenn Standardsprache gesprochen wird, ist es auf Stufe B1 möglich, das Wesentliche von Unterhaltungen und Nachrichten zu verstehen, wenn langsam gesprochen wird. Diese globalen Beschreibungen werden auf allen Ebenen und in verschiedenen Zusammenhängen (privat, beruflich, öffentlich) im GER differenziert dargestellt, sodass ein wirklich umfassendes Bild der vorhandenen Sprachkenntnisse gewonnen werden kann.
Für die Lernenden werden die eigenen Lernfortschritte mittels der Kann-Beschreibungen künftig transparenter und die Suche nach dem geeigneten Kurs wird einfacher. Natürlich werden potenzielle Teilnehmende nach wie vor durch die Einstufungsberatung in den Volkshochschulen unterstützt, die sich ebenfalls am GER orientiert. Das Einüben sprachlicher Kompetenzen steht zukünftig im Mittelpunkt des Unterrichts. Zu dessen Gunsten tritt das Erlernen isolierter grammatischer Strukturen in den Hintergrund, der Grammatik wird der ihr gebührende Stellenwert als Mittel zum Zweck zugewiesen. Zum Beispiel wird künftig die Fragebildung mit ‚do’ im Englischen also nicht mehr als reine Strukturübung durchgeführt, sondern vielmehr rückt die Handlungsabsicht ‚Eine Information erfragen’ in den Mittelpunkt des Unterrichts, für die neben anderen Frageformen eben auch die Fragebildung mit ‚do’ gelernt wird. (Do you play tennis? Do you know where Jim is? Can you tell me the way to the station? Are you looking for anything special? Would you like a cup of tea?) Lehrbuchautoren und Lehrbuchverlage haben bereits begonnen, in ihren neuen Lehrwerken die sprachlichen Handlungsabsichten in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen und ihre Lehrbücher dem GER anzupassen.
Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen war im Übrigen auch Orientierungsgrundlage für die Kultusministerkonferenz bei der Festlegung der Bildungsstandards für das Sprachenlernen in den verschiedenen Schularten. So soll mit Abschluss der Klasse 8 das Niveau A2, mit Abschluss der Klasse 10 das Niveau B1 und mit dem Abitur das Niveau B2 erreicht werden.
Der Volkshochschulverband Baden-Württemberg bietet seit langem Schüler/innen externe Zertifizierungsmöglichkeiten für Sprachkenntnisse insbesondere im Fach Englisch an. Seit dem Jahr 2001 können aufgrund der engen Zusammenarbeit zwischen dem vhs-Verband und dem Realschulreferat des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Realschüler/innen der Klasse 9 die international anerkannte Cambridge-Prüfung PET (Preliminary English Test) auf der Stufe B1 ablegen, die sich nicht zuletzt aufgrund der hohen Erfolgsrate von 92 % wachsender Beliebtheit erfreut. Wie diese Prüfung sind alle Prüfungen der Universität Cambridge ESOL Examinations am GER orientiert und beziehen sich in ihren Anforderungen passgenau auf die Niveaustufen B1, B2, C1 und C2. Schüler/innen der Oberstufe haben die Möglichkeit, landesweit an ausgesuchten Prüfungszentren Cambridge ESOL Prüfungen auf den Niveaustufen C1 und C2 abzulegen (Certificate in Advanced English/CAE oder Certificate of Proficiency in English/CPE, die ihnen den Zugang zu englischsprachigen Universitäten im In- und Ausland ermöglichen. Darüber hin- aus eröffnet das erfolgreiche Bestehen einer externen Sprachprüfung den Schüler/innen größere Chancen bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz.
Neben den Prüfungen in allgemeinem Englisch werden auf den Stufen B1, B2 und C1 von Cambridge ESOL Examinations auch Prüfungen im Bereich Wirtschaftsenglisch angeboten. Die wachsende Nachfrage nach diesen Prüfungen belegt, wie wichtig der Nachweis qualifizierter Englisch- Kenntnisse heutzutage im Berufsleben geworden ist.
Die Volkshochschulen sind sich ihrer Vorreiterrolle bei der Implementierung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens bewusst und stehen gern auch den Schulen vor Ort mit Rat und Tat zur Seite.
Leicht veränderter Beitrag der Verfasserin für „Die Gemeinde (BWGZ) Zeitschrift für die Städte und Gemeinden / Organ des Gemeindetages Baden-Württemberg“; dort veröffentlicht in Heft Nr. 9/2004 (15. Mai 2004).