Volkshochschule – wozu?

Autor: Dr. Hermann Huba, Verbandsdirektor, Volkshochschulverband Baden-Württemberg

I. Die Lage

Die Bedeutung der Weiterbildung für die Zukunft unserer Gesellschaft ist unbestreitbar. Weiterbildung bedeutet Selbständerung der Person in Richtung auf eine Steigerung der Lernfähigkeit. Sie befähigt die Menschen, sich immer besser und schneller auf neue, noch unbekannte Probleme einzustellen. Deshalb ist sie für eine Gesellschaft, die ihre Zukunft als ausgesprochen ungewiss erlebt, von existentieller Bedeutung.

So gesehen müssten sich die Volkshochschulen als Hauptträger der Weiterbildung beruhigt zurücklehnen können. Alles paletti, wie man heute sagt. – Aber ist in Bezug auf die Weiterbildung und die Volkshochschulen wirklich alles in Ordnung?

Es gibt eine Form von Konsens, die ihren Gegenstand beerdigt. Diese Form von Konsens herrscht derzeit in Bezug auf die Weiterbildung. Verbal halten sie alle für schlechterdings unverzichtbar und glauben an ihre zukunftsgestaltende Kraft. Mit dieser Weiterbildungsfrömmigkeit hat es sich dann aber auch. Taten folgen eher selten. Die einen denken, Weiterbildung sei etwas, was nur die anderen nötig hätten. Die anderen denken, wenn man Weiterbildung schon ständig als Zukunftsfaktor 1. Ranges rühme, müsse man sie nicht auch noch finanziell fördern.

Tatsächlich ist also weder in Bezug auf die Weiterbildung insgesamt noch in Bezug auf die Volkshochschulen alles in Ordnung.

 

II.  Die Kritik

Die Institution Volkshochschule hat vor allem mit vier Einwänden zu kämpfen:

1.  Man sagt, Volkshochschulen seien antiquiert. Die multimediale Zukunft ermögliche es jedermann, jede gewünschte Information auf jede Weise jederzeit privat abzurufen. Exklusiver öffentlicher Orte der Weiterbildung bedürfe es daher nicht mehr.

2.  Man sagt, Volkshochschulen fehle es ob ihres vielfältigen Angebots an Professionalität. Wer so vielen so viel bringt, könne niemandem was Rechtes bringen.

3.  Man sagt, Volkshochschulen seien etwas für strickende und bastelnde Hausfrauen mit Ambitionen in Französisch. Ihnen komme es vor allem auf das gemütliche Beisammensein an. Mit leistungsorientierter Weiterbildung habe das nichts zu tun.

Man sagt, der Begriff der Weiterbildung verliere seine Konturen, sei von Beratung, Therapie und Unterhaltung kaum mehr abzugrenzen. Lebensberatung, Therapie und Unterhaltung seien aber keine öffentlichen Aufgaben. Also müsse man die Volkshochschulen dem Markt überlassen.

 

III. Die Rechtfertigung

Wer die vhs erhalten und ausbauen will, muss sie angesichts dieser Kritik zukunftsfest rechtfertigen. Die Rechtfertigung lässt sich auf einen Begriff bringen, nämlich auf den Begriff Allgemeine Weiterbildung.

Diese Antwort bedarf einer kurzen Entfaltung.

1. Sämtliche denkbaren und noch undenkbaren Informations- und Kommunika­tionstechniken der Zukunft vermehren lediglich die Möglichkeiten der Information. Aber einmal sind Möglichkeiten noch keine Wirklichkeiten. Der Umgang mit diesen Techniken muss vielmehr allgemein erlernt werden, und zwar sowohl der praktische als auch der reflektierte, der sinnvolle Umgang (Stichwort: Medienkompetenz). Und zum anderen ist Information, zumal Information im Überfluss eben (noch) nicht Bildung. Information verhält sich zur Bildung vielmehr wie die Zutaten zum Kuchen: Erst die Verbindung schafft den Gewinn. Wer Bildung als schlichte Akkumulation von Informationen (miss-)versteht, versteht nichts von Bildung. Auf die Interpretation von Informationen, auf ihre Vernetzung mit anderen Informationen und auf ihre (wertende) Beurteilung kommt es an.

 

2. Zum Vorwurf mangelnder Professionalität. Die inhaltliche Offenheit der Volkshochschule, d.h. ihr breitgefächertes Angebot, das von Themen der Politik, Gesellschaft und Umwelt über den Bereich der Sprachen sowie der Beruflichen Weiterbildung bis hin zum Bereich der Kultur und des Gestaltens sowie der Gesundheitsbildung reicht, gibt schon lange Anlass zu herber Kritik. Nicht um Vielfalt gehe es, sondern um Beliebigkeit.

Einer ähnlichen Kritik sehen sich übrigens auch interdisziplinär arbeitende Hochschulinstitute ausgesetzt. Auch an diesen vermutet man in aller Regel nicht das Wirken von Generalisten, sondern von Dilettanten.

Aufgrund unserer der funktionalen Differenzierung verpflichteten Gesellschaftsstruktur, und d.h. aufgrund der grundsätzlichen gesellschaftlichen Erwartungen, ist diese Kritik verständlich. Schließlich glauben wir doch letztlich alle, gute und nützliche Leistungen nur von hochspezialisierten Betrieben, Organisationen, Einrichtungen und Fachleuten bekommen zu können, die sich auf eine Sache konzentrieren.

So verständlich diese Kritik aber auch sein mag, so verfehlt ist sie.

Zum einen führen die Volkshochschulen die Lehrangebote, die sie bereitstellen ja nicht selbst durch. Zur Durchführung bedienen sie sich vielmehr beispielsweise in Baden-Württemberg ihrer rd. 34.000 Dozentinnen und Dozenten, und diese sind in aller Regel Spezialisten in ihrem Fach.

Zum anderen geht der öffentliche Auftrag der Volkshochschule eben gerade nicht dahin, Fach-Eliten auszubilden. Diese Aufgabe fällt in unserem Bildungssystem den Universitäten und Fachhochschulen zu. Volkshochschule, die diesen Namen verdient, ist eine Bildungseinrichtung für das Volk, d.h., etwas moderner formuliert: eine Bildungseinrichtung für die Allgemeinheit. Die Allgemeinheit jedoch besteht aus Menschen wie wir alle, nämlich aus Menschen, die in einem engen Bereich über spezielles Wissen und über spezifische Fertigkeiten und Fähigkeiten verfügen, ansonsten aber Laien sind. Und auf jenen zahlreichen Gebieten, auf denen wir Laien sind, benötigen wir eine Ein-richtung, die nicht nur Spezialwissen, sondern auch eine höchst anspruchsvolle Kunst und Kultur übersetzt in unseren Verständnishorizont, mithin allgemeinverständlich macht. Diesen Transfer leistet die Volkshochschule.

Ein Weiteres kommt hinzu. Gerade weil die anderen Organisationen sehr speziellen gesellschaftlichen Aufgaben dienen und auch ihre Weiterbildung auf diese Aufgaben beschränken, muss die Allgemeine Weiterbildung in Volkshochschulen institutionalisiert sein. Denn schließlich muss auch Menschen, die in Organisationen gescheitert sind, die Organisationen wechseln oder gar keinen Organisationen angehören, wie beispielsweise Familienpersonen, schließlich muss auch diesen Menschen Gelegenheit zur Weiterbildung geboten werden.

Kurzum: Es ist geradezu die Aufgabe der Volkshochschule, in einer Welt zunehmender Spezialisierung den Anspruch auf Überblick, also auf Einheit aufrecht zu erhalten und zu erfüllen. Oder, um es paradox zu formulieren: Die Spezialität der Volkshochschule ist ihre Generalität.

3. Auch der dritte genannte Einwand verkennt die Institution Volkshochschule. Selbstverständlich geht es „strickenden und bastelnden Hausfrauen (und Hausmännern) mit Ambitionen in Französisch“ nicht um leistungsorientierte Weiterbildung. Weiterbildung ist aber auch nicht allemal der Ausbau direkten fachlichen, berufsbezogenen Verwendungswissens. Es existiert auch ein gesellschaftlicher Bedarf an personalem Orientierungswissen und an Fähigkeiten zu sozialer Entfaltung wie Kommunikation, Engagement, Aktivität und Begegnung.

Die heute verbreitete Geringschätzung dieses Bedarfs an personaler Orientierung und sozialer Entfaltung ist ebenso verhängnisvoll wie die vorgängige Geringschätzung des fachlichen Verwendungswissens, die unser Bildungssystem in die Zweitklassigkeit geführt hat.

Demgegenüber ist an dem ganzen, ja dem ganzheitlichen Bildungsbegriff festzuhalten: Bildung ist Begegnung, Begegnung mit dem Anderen, also mit den Sachen und mit anderen Menschen.

4. Bleibt der vierte Einwand: man könne und müsse die Weiterbildung und die Volkshochschulen dem Markt überlassen.

Es ist müßig, die zahlreichen theoretischen Gründe, die dieser These entgegenstehen, näher zu entfalten. Nur soviel: Wenn Weiterbildung Selbständerung der Person durch Begegnung mit dem Anderen bedeutet, ist ihr Wert in der Sprache des Marktes, also in Geld, nicht zu messen und nicht zu fassen.

Praktisch wichtiger sind die gesellschaftspolitischen Gründe, die gegen die Marktabhängigkeit der Weiterbildung sprechen.

Einmal beschränkt sich der Markt darauf, die je gegenwärtigen Bedürfnisse zu befriedigen. Bedürfnisse der Zukunft finden keine Berücksichtigung. Genau das hat die ökologische Diskussion der vergangenen Jahre deutlich gezeigt. Weiterbildung hat aber - gesellschaftlich betrachtet - gerade die Funktion, für eine offene Zukunft vorzusorgen. Schon deshalb lässt sie sich nicht sinnvoll und schadlos auf Markt umpolen.

Inhaltlich gewendet: Die Auslieferung der Weiterbildung an die schlichte Nachfrage bedeutet den Verzicht auf jeden normativen Bildungsbegriff. Weiterbildung ist dann nur noch das, was je nach Mode auf dem Weiterbildungsmarkt nachgefragt wird.

Und nicht zuletzt bedeutet Marktabhängigkeit der Weiterbildung eine Gefahr für die Demokratie. Das ist nicht pathetisch gemeint, sondern ganz praktisch. Demokratie lebt von der prinzipiellen Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger. Andererseits ist die Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht zu bestreiten. Diese Ungleichheit ist mit dem Postulat prinzipieller Gleichheit aber nur solange vereinbar, wie soziale Mobilität möglich bleibt. Bildung und Weiterbildung garantieren soziale Mobilität - aber eben nur solange sie auch Schlechterverdienenden offen stehen. Deshalb ist die öffentliche Förderung der Allgemeinen Weiterbildung so essentiell.

 

IV. Das Ergebnis

Der Schlüssel zum richtigen Verständnis der Volkshochschule ist demnach die gesellschaftliche Notwendigkeit allgemeiner Weiterbildung. Allgemeine Weiterbildung bedeutet dabei dreierlei:

1.  Weiterbildung für die Allgemeinheit, für alle Schichten, Gruppen und Milieus, im städtischen wie im ländlichen Raum.

2.  Weiterbildung zu potentiell allen Themen, wobei freilich nicht alles Wissen gleichzeitig angeboten werden kann und muss. Erforderlich ist vielmehr ein vielfältiges und flexibles Angebot.

3.  Weiterbildung bedeutet die fortgesetzte Begegnung mit dem Anderen, das fortgesetzte Sich-Einlassen auf Unbekanntes und Fremdes. Und eben deshalb steigert Weiterbildung die Problemlösungskompetenz und damit die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.

Weil und solange die Volkshochschulen an diesem Auftrag zur Allgemeinen Weiterbildung festhalten, muss uns um ihre Zukunft nicht bange sein. Wenn wir sie nicht schon hätten, müssten wir sie zu diesem Zweck erfinden. Oder, in den aktuellen Worten des ehemaligen Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz Gerd Roellecke: „Wenn Modernisierung für das Individuum die Auseinandersetzung mit den Sachen ohne Rücksicht auf Rang und Würde ist, und für die Gesellschaft die Orientierung an Funktionen, an immer besseren Problemlösungen, an der Einstellung auf das Ungewisse, dann sind die Volkshochschulen die modernsten Bildungseinrichtungen, die wir haben.“