Demokratie lernen – Volkshochschule als Ort der Demokratie

Autor: Dr. Michael Lesky, Fachreferent Politik – Gesellschaft – Umwelt, Volkshochschulverband Baden-Württemberg

Ein Plädoyer

„Demokratie ist die einzige Staatsform, die immer wieder neu gelernt werden muss.“ Diese bekannte Aussage des Soziologen Oskar Negt unterstreicht die große Bedeutung von Bildung als wesentliche Existenzgrundlage für die Demokratie. Und Demokratie lebt von der Bereitschaft, Verantwortung für das Wohlergehen des Ganzen zu übernehmen. Demokratie braucht deshalb informierte, engagierte, urteilsfähige, politisch gebildete und mündige Bürgerinnen und Bürger – sie muss erlernt und immer wieder neu ausgehandelt und gefestigt werden.

Demokratie benötigt mitarbeitende und mitdenkende Bürgerinnen und Bürger – dies war ein wichtiger Grund für die Entstehung der Volkshochschulen in der Weimarer Demokratie. Doch wo steht die Volkshochschule heute? Wie kann sie ihrem nach wie vor geäußerten, hohen Anspruch als „Ort der Demokratie“ gerecht werden?

Unsere sich schnell wandelnde und komplexe Gesellschaft erfordert eine Bildung, die den Menschen in seiner Persönlichkeit festigt und die geistige, emotionale, soziale, ästhetische, kulturelle und inter- bzw. transkulturelle Kompetenzen umfasst. Deshalb soll im Folgenden das Augenmerk besonders auf Bereiche und Inhalte gelegt werden, die sich mit einem ganzheitlichen Ansatz von den üblichen Ansätzen politischer Bildung abheben und die sich auch auf die Bildungseinrichtung Volkshochschule an sich beziehen.

Eine der wesentlichen Grundprinzipien der Volkshochschularbeit ist ihre Offenheit gegenüber allen Menschen: „Offenheit ist Prinzip und Merkmal der Volkshochschularbeit: Volkshochschulen sind offen für Menschen aller sozialen Schichten und Einkommensgruppen, aller Milieus und Kulturen, für Menschen mit und ohne Behinderungen ... (DVV, Die Volkshochschulen – Bildung in öffentlicher Verantwortung, Seite 14). Doch bedeutet diese Offenheit auch die Offenheit gegenüber allen politischen Richtungen? Denn diese Offenheit, der ganzheitliche (kritische) Bildungsansatz und die demokratische Ausrichtung des Bildungsortes Volkshochschule bieten auch offene Angriffsflächen f populistische, extremistische und antidemokratische Gruppierungen jeglicher Couleur. In ihrer klassischen Version lautet die Frage also: Freiheit für die Feinde Freiheit?

Um ihrem Selbstverständnis als Ort der Demokratie gerecht zu werden, muss die Volkshochschule Profil zeigen und auch die Grenzen ihrer Bildungsarbeit benennen – antidemokratische und extremistische Äußerungen außerhalb des Grundgesetzes sind mit der Volkshochschularbeit nicht vereinbar. Wie das in der Praxis aussehen kann, hat etwa der Volkshochschulverband Baden- Württemberg mit seinen sog. „Verhaltensleitlinien“ gezeigt: Sie beziehen eindeutig Position, indem Informationen über unsere Grundwerte mit deutlich formulierten Grenzen verknüpft werden.

Im Rahmen des politischen Diskurses soll es selbstverständlich auch zu Diskussionen und Auseinandersetzungen über unsere demokratische Ordnung kommen (können). Doch so, wie das Grundgesetz die Demokratie als streitbare Demokratie konstituiert, so ist der Standpunkt der Volkshochschule ein streitbar demokratischer: Grundlage der Volkshochschule ist die freiheitliche demokratische Grundordnung, und diese ist nicht verhandelbar.

Diskussionen und produktive Auseinandersetzungen über unsere demokratische Ordnung erfordern allerdings auch, dass wir (wieder) streiten lernen – nur so kann auf Dauer ein demokratisches Zusammenleben in Vielfalt gewährleistet werden. Wir benötigen eine Streitkultur, die das Gegenüber respektiert, sich mit Argumenten sachlich auseinandersetzen sowie andere und anderes aushalten kann. Dafür bedarf es politischer, sozialer und kultureller Kompetenzen – wie sie im ganzheitlichen Bildungsansatz der Volkshochschule vermittelt werden. Aus (Persönlichkeits-)Bildung entsteht Haltung. Und nur mit echten Ecken und Kanten kann es zu einem produktiven Diskurs kommen.

Streiten lernen bedeutet aber auch Perspektiven zulassen – denn wir müssen über Visionen und Alternativen streiten und diskutieren können.

Demokratiemüdigkeit geht häufig einher mit der angeblichen Alternativlosigkeit herrschender politischer Positionen. Bildung kann und muss hier politische Diskussionsräume öffnen, in denen um Standpunkte und Visionen gestritten und diskutiert werden kann. Dies ist aber nur möglich, wenn wir Alternativen zulassen und auch den Blick für diese Perspektiven öffnen.

Wenn die Volkshochschule als demokratische Bildungsinstitution Profil zeigt, den Einzelnen in seiner Persönlichkeit stärkt, den Raum zum Streiten und Diskutieren bietet, Alternativen und Perspektiven aufzeigt und Visionen zulässt – dann kann die Volkshochschule auch in Zukunft ihrem Anspruch als Ort der – streitbaren – Demokratie gerecht werden.