Kulturelle Bildung und Demokratie

Autorin: Dr. Julia Gassner, Fachreferentin Kultur – Gestalten, Volkshochschulverband Baden-Württemberg

Kulturelle Bildung und Demokratie

Ist das Kunst oder kann das weg? Gerade bei zeitgenössischer Kunst ist nicht immer auf den ersten Blick klar, ob es sich um ein Kunstwerk handelt. Der Kunststatus lässt sich nicht an einer materiell objektiven Eigenschaft des Gegenstands festmachen, sondern beruht auf einem intersubjektiven Konsens: In demokratischen Gesellschaften ist Kunst in einem deskriptiven Sinne das, was – in Folge eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses – als Kunst gilt1. Allerdings ist auch in Demokratien nicht das ganze Volk in diesen Aushandlungsprozess einbezogen; nicht immer ist für alle nachvollziehbar, warum etwas Kunst ist. Umso wichtiger ist die kulturelle Bildung: Sie macht Hintergründe des Kunstwerks deutlich, zeigt dessen Einbindung in aktuelle Diskurse auf, bietet Möglichkeiten, sich einem Kunstwerk auf verschiedene Arten anzunähern und unterstützt damit das Verständnis von und für Kunst. In einer Demokratie, in der Volksvertreter/innen über die staatliche Förderung von Kunst und Kultur entscheiden, ist dieses Verständnis nicht zuletzt essenziell zur Legitimation der Kulturfinanzierung: „Damit Kulturleistungen wie Oper, Schauspiel, Konzert, Ausstellungen o. a. akzeptiert und nachgefragt werden, bedarf es einer kenntnisreichen, gebildeten und aufgeschlossenen Bevölkerung. Zu dieser breitenwirksamen kulturellen Bildung leisten die Volkshochschulen einen unverzichtbaren Beitrag.“2

Demokratiekompetenz durch kulturelle Bildung

Im Gespräch über Kunst, bei Blicken hinter die Kulissen, durch das eigene Ausprobieren in künstlerischen Medien fördert kulturelle Bildung aber nicht nur das Verständnis für Kunst. Kulturelle Bildung stärkt außerdem die Urteilsfähigkeit und Kommunikationskompetenz. Teilnehmende der kulturellen Bildung lernen, über Kunst – und anderes – zu diskutieren, eigene Standpunkte zu vertreten und andere Perspektiven einzunehmen. Sie erwerben damit Kompetenzen, die in einer Demokratie wichtig sind. Es verwundert daher nicht, dass in der politischen Bildung, insbesondere für Kinder und Jugendliche, häufig Methoden aus der kulturellen Bildung eingesetzt werden3: Ein Theaterstück bietet beispielsweise die Möglichkeit, in eine fremde Rolle zu schlüpfen und damit die Erfahrung eines Perspektivwechsels zu machen. Und bei der Gestaltung von Fotos und Plakaten steht Sprache nicht im Vordergrund, so dass sich diese Methode für verschiedenste Zielgruppen eignet, die auf bildhafte Weise einfacher ihre Meinung zum Ausdruck bringen können – von Kindergartenkindern über Menschen mit Grundbildungsbedarf bis zu Zugewanderten.

Im Medium der Kunst werden in solchen Bildungsangebote demokratische Prozesse erlebbar.

 

Eigenwert der kulturellen Bildung

Diese Sekundär- oder Transfereffekte kultureller Bildung, die positiven gesellschaftspolitischen Wirkungen wie Verringerung von Unterschieden, Integration, Inklusion und Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die der kulturellen Bildung zugeschrieben bzw. von ihr erwartet werden, sind jedoch ein zweischneidiges Schwert: Zum einen haben sie dafür gesorgt, dass die kulturelle Bildung in den letzten Jahren im politischen Diskurs im Aufwind ist, wie nicht zuletzt Förderprogramme wie „Kultur macht stark“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zeigen. Zum anderen besteht jedoch die Gefahr, dass kulturelle Bildung damit von der politischen Bildung vereinnahmt wird. Die Kulturwissenschaftlerin Helle Becker, die sich für eine deutliche Unterscheidung von politischer und kultureller Bildung stark macht, empfiehlt daher, das pädagogische Setting, die „Ausformung des Möglichkeits- und Gelegenheitsraums“ klar am Ziel des Bildungsangebots auszurichten und gesellschaftspolitische von künstlerisch-ästhetischen Zielen zu unterscheiden.4 Auch wenn Volkshochschulen Orte sind, an denen Demokratie gelernt und geübt wird: Kulturelle Bildung bietet einen Freiraum, sie ist nicht Mittel zum Zweck der Demokratiekompetenz.

 

1 Vgl. Amrei Bahr: Funktionen von Kunst. Online unter https://www.kubi-online.de/artikel/funktionen-kunst.

2 Argumente für die Unverzichtbarkeit der Kulturellen Bildung. Volkshochschulverband Baden-Württemberg. Online unter:

https://www.vhs-bw.de/abteilung/kultur-gestalten/argum_kultbild_gesamtfassung.pdf.

3 Vgl. Max Fuchs: Kulturelle und politische Bildung. Online unter http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/kulturelle-bildung/59942/kulturelle-und-politische-bildung.

4 Vgl. Helle Becker: „Kunst ist Kunst“. In: infodienst. Das Magazin für kulturelle Bildung. Nr. 119. April 2016. S. 10–13.