Der Auftrag der Volkshochschulen – Versuch einer Interpretation in drei Begriffen

Autorin: Susanne Deß, Mannheimer Abendakademie, stellvertretende Vorsitzende des vhs-Verbandes und des DVV

Prolog

Über den Auftrag der Volkshochschulen gibt es mannigfaltige Literatur, Gesetzestexte und Auslegungen, in der jeweiligen Ausprägung vom Zeitgeist und vom Bundesland abhängig.

Im Arbeitsalltag einer mittleren bis kleineren Volkshochschule ist es nicht möglich, diese Literatur im Überblick zu kennen und die entscheidenden Faktoren heraus zu arbeiten. Eine unspezifische Festlegung, mit welchen Begrifflichkeiten die Bedeutung des vhs-Auftrages umrissen werden könnte, hat wahrscheinlich jeder und jede für sich schon mal treffen müssen, um im politischen Raum und mit Förderern über die vhs-Arbeit sprechen zu können.

Für uns hier in Baden-Württemberg ist grundlegend die Verfassung des Landes Baden-Württemberg, das Gesetz zur Förderung der Weiterbildung und des Bibliothekswesens (Weiterbildungsförderungsgesetz) sowie die Festlegungen im Kommunalrecht. Eine bundesweit Zustimmung findende zusammenfassende Interpretation des Auftrages von Volkshochschulen ist im sogenannten „Blauen Buch“ von 2011 formuliert. Es wird anlässlich des Termins „100 Jahre vhs“ im Jahr 2019 gerade überarbeitet.

Ich wage eine alltagstaugliche Interpretation unseres öffentlichen Auftrages in drei Begriffen:

 

Kommunalität

Volkshochschulen sind ortsgebunden. Noch? Ja, auch im virtuellen Zeitalter bleiben Volkshochschulen in ihrer Kommune verwurzelte Einrichtungen. Die Organisation von Bildungszuständigkeiten in Deutschland macht Bildung zur Ländersache und die untergeordneten Rechtsverordnungen und Ortsrechte legen die Verantwortung für die Erwachsenenbildung, besonders der Volkshochschulen in kommunale Hände. Unter Fördergesichtspunkten mögen diese Auswirkungen des föderalistischen Systems schwierig sein, sachlich erzwingt dies die Verbindung von vhs und Kommune und ist fachlich das schwerwiegendste Argument für die Bedeutung der Volkshochschule in einer Stadt, einer Gemeinde, einem Ort oder Kreis – unabhängig von der Organisationsform.

Die Stadtgesellschaft oder die Menschen in einem kleineren Gemeinwesen organisieren die in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Aufgaben des gemeinschaftlichen Lebens. Im Wesentlichen geschieht dies durch die Stadtverwaltung und die dafür verantwortlichen Gremien sowie die nahestehenden Einrichtungen und Betriebe (wie die vhs) und die Aktivitäten von bürgerschaftlich engagierten Menschen. Eine besondere Herausforderung ist es, den Menschen die Möglichkeit zur eigenständigen, eigenverantwortlichen Teilhabe zu sichern und damit zusätzlich langfristig eine Entlastung der öffentlichen Kasse von Versorgungsleistungen zu erreichen. Dabei gibt es eine Vielzahl dazu gehöriger Aufgaben, die verpflichtend umgesetzt werden müssen und deshalb in der Organisationsstruktur der Stadt / Gemeinde zentral verankert sind. Volkshochschulen – in der Stadt ein wenig von den Kernaufgaben entfernt – haben ihrerseits eine gesetzlich festgeschriebene Aufgabenvielfalt, die sie erst als Volkshochschule konstituiert und die die Herausforderungen der Städte und Gemeinden flankiert: Diese beschreibt das Gesetz zur Förderung der Weiterbildung und des Bibliothekswesens (Weiterbildungsförderungsgesetz). In §1 Abs. 2 heißt es: „Die Weiterbildung hat die Aufgabe, dem Einzelnen zu helfen, im außerschulischen Bereich seine Fähigkeiten und Kenntnisse zu vertiefen, zu erweitern oder zu erneuern. Sie umfasst auf der Grundlage des Grundgesetzes und der Landesverfassung die allgemeine Bildung, die berufliche Weiterbildung und die politische Bildung. Die Weiterbildung soll den Einzelnen zu einem verantwortlichen Handeln im persönlichen, beruflichen und öffentlichen Bereich befähigen und damit der freien Gesellschaft im demokratischen und sozialen Rechtsstaat dienen“.

„Die Volkshochschule steht allen Bürgerinnen und Bürgern offen. Mit Recht ist sie die bekannteste Weiterbildungseinrichtung in Deutschland. Die Volkshochschulen eröffnen vielfältige Zugänge zur Weiterbildung, wecken aber auch neue Bildungsbedürfnisse und ermöglichen freiwilliges Lernen mit Freude und Zufriedenheit. Sie sind dabei besonders um jene Menschen bemüht, die bislang zu wenig von Weiterbildung profitieren. Niemand soll zurückgelassen werden. Volkshochschulen sind damit Teil der kommunalen Daseinsvorsorge. Mit ihrem umfassenden Angebot, mit innovativen Projekten, durch Vernetzung mit anderen Akteuren bereichern sie die kommunale Bildungslandschaft und fördern das Potenzial der Region.“ (Die Volkshochschule – Bildung in öffentlicher Verantwortung, Hrsg. DVV e.V., Bonn, S.14), so führt das „Blaue Buch“ ergänzend aus.

Auf Grund der räumlichen Nähe zu den Menschen, der Nähe in der Organisation, der Abhängigkeit in der Finanzierung und der Formulierung der Aufträge sind Volkshochschulen unabhängig von ihrer Organisationsstruktur eng mit den Kommunen und ihren Aufgaben verbunden und stark kommunal verankert.

Wichtige Themenfelder, welche die Legitimierung in der Kommune insbesondere unterstreichen, sind die politische Bildung, die Grundbildung und die Integrationsarbeit. Über die Bildungsangebote hinaus sind Bildungsberatung und Netzwerkarbeit Arbeitsbereiche, welche die kommunale Anbindung unterstreichen und die Finanzierungslast für die Kommune rechtfertigen.

 

Bildungsgerechtigkeit

Eine solche Beschreibung des vhs-Auftrages führt automatisch zum Begriff der Bildungsgerechtigkeit. Eines der wichtigen Themen in der Diskussion um Gestaltung von Bildungsangeboten ist das Erreichen von Bildungsgerechtigkeit.

Insbesondere in Deutschland sind Herkunft und familiäre Unterstützung ein entscheidender Faktor für Bildungserfolg. Volkshochschulen tragen mit ihrem, an den Vorgaben des Weiterbildungsgesetzes orientierten Bildungsprogrammen – je nach Leistungsfähigkeit mehr oder weniger – zur Verbesserung der Bildungsgerechtigkeit bei. Sie ermöglichen dem Einzelnen formal oder ohne Abschlussorientierung seine Fähigkeiten und Kenntnisse zu vertiefen, zu erweitern oder zu erneuern und schaffen damit neue Chancen für gesellschaftliche Teilhabe. Sie orientieren sich idealerweise an den Bedarfen und Bedürfnissen von Zielgruppen und erweitern damit die Möglichkeiten unterschiedlicher Zielgruppen, von Bildungsangeboten zu profitieren.

 

Vielfalt

Der beschriebene Weiterbildungsauftrag für Volkshochschulen beinhaltet auch eine Idee von Bildung, die über die unmittelbare Verwertbarkeit von Wissen hinausgeht. Der Mensch steht im Mittelpunkt mit dem Recht auf die Entwicklung seiner Persönlichkeit, um in allen Lebensbereichen aktiv an der Gesellschaft teilnehmen zu können. Um dies zu ermöglichen ist es wichtig, Angebote kultureller Bildung, allgemeiner Bildung in allen Themenbereichen, auch wissenschaftlichen Themenfeldern, Gesundheitsbildung und Fremdsprachen vorzuhalten.

Ein Menschenbild, das Teilhabe auf das Funktionieren im Arbeitszusammenhang reduziert, entspricht nicht dem Auftrag der Volkshochschulen, die – im Gegenteil – u. a. von den Arbeiterbildungsbewegungen profitiert haben, die Menschen auch den Zugang zu allgemeiner und wissenschaftlicher Bildung ermöglichen wollten.

Zugleich unterstützt ein breites vielfältiges Angebot das kulturelle Gedächtnis und kulturelle Entwicklung, Demokratieverständnis, Geschichtsbewusstsein, Zusammenhalt in der Gesellschaft, wirkt Vereinzelung und Einsamkeit entgegen und fördert gemeinschaftliches Handeln.

Gleichzeitig bedeutet Vielfalt die Abbildung der gesellschaftlichen Vielfalt bei den Teilnehmenden, den Kursleitenden und den Beschäftigten.