Integration als Bildungsaufgabe

Autor: Dr. Hermann Huba, Verbandsdirektor des Volkshochschulverbandes Baden-Württemberg bis Dezember 2020 

Geleitwort zu den Verhaltensleitlinien des Volkshochschulverbandes
"Das geht uns alle an: Herzlich willkommen in der Volkshochschule! Regeln zur Kursteilnahme"

 

I. Pluralismus

Dass so viele Flüchtlinge zu uns gekommen sind und noch zu uns kommen werden, verändert unsere Gesellschaft. Selbstverständlichkeiten etwa werden uns wieder als eher unwahrscheinliche Errungenschaften bewusst. Man muss sie nur mit den Augen der Ankommenden sehen. So ist der heute selbstverständliche Pluralismus der bundesrepublikanischen Gesellschaft das Ergebnis jahrhundertelanger, teilweise sehr blutiger konfessioneller Auseinandersetzungen. Gleiches gilt für unseren (Rechts-)Staat, den das Grundgesetz als „Staat, der Nichtidentifikation“ konstituiert, also als einen Staat, der sich mit keiner Weltanschauung und keiner Religion identifiziert.

Die Frage, die systematisch zu beantworten wir uns gegenwärtig noch scheuen, ist, was Integration in eine pluralistische Gesellschaft und in den ihr korrespondierenden Rechtsstaat genau bedeutet und erfordert.

Konsequenter Weise verlangt ein Staat der Nichtidentifikation auch von seinen Bürgerinnen und Bürgern und von seinen Einwohnerinnen und Einwohnern keine Identifikation mit einer bestimmten Weltanschauung oder einer bestimmten Religion. Ja, als Rechtsstaat verlangt er auch keine Identifikation mit seinem   – ohnehin weitestgehend entmoralisierten – Recht. Aber er verlangt die Wahrung seines Rechts.

 

II. Integration

Formal betrachtet beschränkt sich „Integration“ also auf die Einhaltung der geltenden Rechtsnormen, von den Feiertagsgesetzen bis zum Strafrecht. Darüber herrscht aktuell auch Einigkeit.

Hinzu kommen soll die Anerkennung bestimmter „Werte“, sog. Grund- oder Leitwerte oder auch der Wertordnung des Grundgesetzes. So ganz genau wissen wir das nicht. Das kann indessen nicht überraschen. Eine der Selbstbeschreibung nach pluralistische Gesellschaft hat es nicht so mit gemeinsamen, allgemein anerkannten Werten. Sonst wäre sie nicht pluralistisch. Deshalb ist unklar, was genau die zu uns kommenden Menschen anerkennen sollen, wenn sie hier bleiben wollen. Soll, was ja alle Vernünftigen wollen, Integration gelingen, dürfen wir den Ankommenden diese Unklarheit nicht zumuten. Die aufnehmende Gesellschaft schuldet Klarheit in den Anforderungen an Integration, im Interesse aller Beteiligter, auch im eigenen.

Hinsichtlich der Volkshochschulen sollen die folgenden Verhaltensleitlinien des Volkshochschulverbandes Baden-Württemberg für Klarheit sorgen.

Das zentrale Strukturprinzip einer pluralistischen Gesellschaft ist die Relativität religiöser und politischer Weltanschauungen, die Relativität von Überzeugungen bis hin zur Relativität von Lebensentwürfen. In einer pluralistisch verfassten Gesellschaft herrscht nicht Einheit, sondern Differenz. Deshalb erfordert Integration in eine solche Gesellschaft inhaltlich betrachtet in jedem Fall einerseits die Fähigkeit, solche Differenzen erkennen, thematisieren und aushalten zu können sowie andererseits die Fähigkeit, solche Differenzen, über- greifende Strukturen und Kooperationsmöglichkeiten wahrnehmen und nutzen zu können.

Die Umstellung des Gemeinwesens von Einheit auf Differenz sowie das Aushalten und kooperative Über- winden von Differenz ist indessen ein Programm, das nicht weniger als die gesellschaftliche Entwicklung der sog. westlichen Gesellschaften seit Ende des 18. Jahrhunderts zum Gegenstand hat. Diese Entwicklung gilt es denkend nachzuvollziehen. Deshalb ist Integration eine Bildungsaufgabe, und zwar eine ziemlich anspruchsvolle.

 

III. Bildung

Diese Bildungsaufgabe trifft selbstverständlich auch die Volkshochschule. Sie ist zur Erfüllung dieser Aufgabe auch geeignet. Denn ihr Bildungsauftrag lautet, allen Teilnehmenden, die neu zu uns gekommen sind, bei weitem nicht nur die deutsche Sprache, sondern ein entsakralisiertes, säkularisiertes Verhältnis des ganzen Menschen zur Welt nahe zu bringen: das Weltverhältnis in einer pluralistischen Gesellschaft. Und die Volkshochschule ist aufgerufen, allen Teilnehmenden der aufnehmenden Gesellschaft die schon zur Selbstverständlichkeit geronnenen gesellschaftlichen Errungenschaften neu bewusst zu machen und damit zur Diskussion anzubieten.

Herzlich willkommen in der Volkshochschule

 

Regeln zur Kursteilnahme