Volkshochschule – Ort der Demokratie?

Autor: Dr. Hermann Huba, Verbandsdirektor des Volkshochschulverbandes Baden-Württemberg bis Dezember 2020 

Die Selbstbeschreibung der Volkshochschule als „Ort der Demokratie“1 ist uneindeutig. Folgt aus ihr, dass die vhs ausschließlich Positionen des demokratischen Spektrums Raum bietet, demokratische Gesinnung also Zugangsvoraussetzung ist? Oder bedeutet „Ort der Demokratie“, dass hier ausdrücklich die demokratische Auseinandersetzung stattfindet, auch mit antidemokratischen, extremistischen, rassistischen und populistischen Auffassungen, für die die vhs eben auch offen ist? Ist die vhs also ein Hort demokratischer Homogenität oder ein legitimer Ort der (politischen) Auseinandersetzung, des Streits?

Für einen Ort der Demokraten unter sich spricht die Ergänzung des vhs-Leitbilds, die der Bundesarbeitskreis (BAK) „Politik-Gesellschaft-Umwelt“ im Deutschen Volkshochschulverband vorschlägt: „Die Volkshochschule orientiert sich an den demokratischen Grundwerten. Sie setzt sich für Toleranz, Offenheit und Vielfalt ein. Antidemokratischen und extremistischen Äußerungen bietet die Volkshochschule keinen Raum.“2

Für einen Ort ausdrücklichen politischen Streits spricht das Prinzip der Offenheit, dem sich die Volkshochschule verpflichtet weiß: „Volkshochschulen sind offen für Menschen aller sozialen Schichten und Einkommensgruppen, aller Milieus und Kulturen, für Menschen mit und ohne Behinderungen. Sie sind offen für Menschen mit unterschiedlichen und gegensätzlichen Auffassungen.“3


Unterschiedliche Rechtsformen und Funktionen

Volkshochschulen gibt es in verschiedenen Rechtsformen und in unterschiedlichen Funktionen. Ihre primäre Funktion ist die, der Bevölkerung ein umfassendes Weiterbildungsangebot zu unterbreiten, sie in Bildungsfragen zu beraten und Begegnungen zu ermöglichen. Daneben ist die vhs beispielsweise auch Auftraggeberin hinsichtlich der Arbeit der Kursleitenden und Arbeitgeberin hinsichtlich des hauptberuflichen Personals. Sie kann aber auch in der Rolle der Vermieterin von Räumen auftreten.

In diesen Nebenfunktionen verhält sich die vhs sinnvoller Weise grundsätzlich so, wie sich auch andere private oder öffentliche Auftraggeber, Arbeitgeber und Vermieter im Rechtsverkehr verhalten: Eine vhs in der privatrechtlichen Rechtsform eines eingetragenen Vereins oder einer GmbH kann prinzipiell frei entscheiden, an welche (politischen) Gruppen sie ihre Räume vermietet. Ist die vhs eine im formalen Sinne kommunale, also ein Amt der Stadtverwaltung, handelt durch sie die Kommune. Deshalb ist sie prinzipiell zur Gleichbehandlung verpflichtet. Das gilt auch für Kreis- und Zweckverbandsvolkshochschulen. Der Gleichheitssatz (Art. 3 Absatz 1 Grundgesetz) zwingt sie, Gleiches gleich (und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend ungleich) zu behandeln. Haben sie einen ihrer Räume einer politischen Partei überlassen, können sie die Nachfrage anderer politischer Parteien nicht zurückweisen (§ 5 Absatz 1 Parteiengesetz).

Und die Nachfrage einer antidemokratischen, extremistischen und/oder populistischen Partei? Auch diese kann eine im formalen Sinn kommunale vhs, die bereits an eine andere politische Partei Räume vermietet hat, wegen des Parteienprivilegs des Art. 21 Absatz 4 Grundgesetz nicht zurückweisen. Denn über die Verfassungswidrigkeit einer Partei kann nicht jedermann entscheiden, sondern entscheidet exklusiv das Bundesverfassungsgericht.

Anders eine privatrechtlich organisierte vhs. Sie ist kein „Träger öffentlicher Gewalt“ und kann deshalb am demokratischen Meinungskampf teilnehmen, auch durch die Weigerung, ihre Räume einer bestimmten politischen Partei zur Verfügung zu stellen. Sie darf subjektiv begründet unterscheiden.

Und was gilt in dem originären Aufgabenfeld der vhs, also im Bereich Bildung, Beratung und Begegnung? Auch hier entscheidet die Rechtsform. Eine öffentlichrechtlich organisierte Einrichtung muss letztlich die vom Grundgesetz gezogenen Grenzen einhalten, eine privatrechtlich organisierte ist in ihren Entscheidungen deutlich freier. Das jedenfalls ist die Perspektive des Rechts. Bildungs- und einrichtungspolitisch spricht freilich vieles dafür, auch eine privatrechtlich organisierte vhs wegen ihrer Gemeinwohlorientierung und wegen ihrer öffentlichen Förderung an den grundgesetzlich gezogenen Grenzen zu orientieren.


Die Wertungen des Grundgesetzes

Die zentralen demokratischen Grundrechte zusammen mit der Versammlungsfreiheit sind die Meinungsfreiheit und die Informationsfreiheit des Art. 5 Absatz 1 Grundgesetz: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die Meinungsfreiheit als schlechthin konstituierend für die Demokratie.

Meinungen in diesem Sinne sind Stellungnahmen im Rahmen geistiger Auseinandersetzungen, mithin subjektive Werturteile. Geschützt sind alle Meinungen, unabhängig von ihrem Inhalt, auch Aussagen, die dem Grundgesetz widersprechen, also auch antidemokratische, diskriminierende, extremistische und populistische Positionen. Nicht mit Blick auf den  Inhalt der Meinung wird die Meinungsfreiheit beschränkt, sondern durch die allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Jugendschutz und das Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 Absatz 2 Grundgesetz).

Als Hort demokratischer Homogenität, also als Ort, an dem nur Meinungen des demokratischen Spektrums zugelassen sind, zöge die vhs die Grenzen der Meinungsfreiheit enger als das Grundgesetz. Selbst wenn man diese bei privatrechtlich organisierten Einrichtungen rechtlich zulässige engere Grenzziehung generell auch einrichtungspolitisch für angebracht halten würde, ist in diesen Grenzen politische Bildung an der vhs wenig sinnvoll. Denn sie verzichtete auf die Teilnahme am politischen Machtkampf und damit auf das Kernelement der Demokratie.

Aber nicht nur das. Ein so ausgestalteter Ort der Demokratie verzichtete auch auf einen Beitrag zur Verteidigung der Demokratie.


Streitbare, wehrhafte Demokratie

Ganz anders als die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919, die den Volkshochschulen Verfassungsrang einräumte (Art. 148 Absatz 4), versteht sich das Grundgesetz als streitbare Demokratie. Das Konzept seiner Wehrhaftigkeit kulminiert in Art. 79 Absatz 3 Grundgesetz. Danach kann der Kern seiner inhaltlichen Entscheidung für die freiheitliche demokratische Grundordnung legal nicht verändert oder aufgehoben werden, durch keine noch so große Mehrheit. Entscheidungen gegen diesen Kern der freiheitlichen demokratischen Grundordnung können die Legitimität des Grundgesetzes nicht für sich in Anspruch nehmen. Sie bedürfen einer eigenen, aus der Sicht des Grundgesetzes, revolutionären Legiti mität. In diesem Sinne steht das Grundgesetz – plakativ formuliert – für beides, für: Freiheit ist immer die Freiheit des/r Andersdenkenden, aber auch für: Keine Freiheit den Feinden der Freiheit.


Politische Bildung

Die aktive – gewaltfreie – politische Auseinandersetzung zwischen demokratischen und antidemokratischen, extremistischen und populistischen Positionen ist also durchaus sehr im Sinne des Grundgesetzes. Dabei sind die undemokratischen Positionen häufig ebenso wenig leicht zu erkennen, wie  demokratische Positionen einfach vom Himmel fallen. Es bedarf vielmehr einer sie erzeugenden, festigenden, einübenden und Teilhabe ermöglichenden politischen Bildung, die auch den Blick für extremistische Auffassungen schulen muss. Solche politische Bildung muss Teil der Allgemeinbildung sein. Und solche Bildung der Allgemeinheit ist Aufgabe der Volkshochschule – als eines Ortes des Erlernens und  des Verteidigens der Demokratie.


1 Deutscher Volkshochschulverband – DVV – (Hrsg.), Die Volkshochschule – Bildung in öffentlicher Verantwortung, 2011, S.10 f.

2 BAK Politik-Gesellschaft-Umwelt, Volkshochschule als Ort der Demokratie, Hilfestellungen zum Umgang mit antidemokratischen Äußerungen und Gruppierungen, 2017, S.3.

3 DVV (FN 1), S.14 (Hervorhebung H.H.).