Die Volkshochschule – Ort der Vielfalt, auch der Sprachen!

Die Volkshochschule –  Ort der Vielfalt, auch der Sprachen!

Autorin: Martina Haas, Fachreferentin Sprachen und Integration, Volkshochschulverband Baden-Württemberg

Sprachen sind eine ambivalente Angelegenheit. Sie schaffen Grenzen und sie überwinden sie. Nationen definieren sich über ihre gemeinsame Sprache. Die gemeinsame Sprache schafft Vertrautheit und Sicherheit. Letzteres auch, indem die Sprache dazu dient, sich von anderen Nationen abzugrenzen. Anderen Ländern wiederum gelingt es, ihre Gesellschaft trotz mehrerer Landes- und Amtssprachen – oder vielleicht gerade durch sie – zusammenzuhalten.

Sprache ist von jeher auch ein machtpolitisches Instrument. Zentralisierungsbestrebungen eines Staates gehen oft einher mit der erzwungenen Einführung einer zentralen Sprache und der Unterdrückung von Minderheitensprachen. Der Französischen Revolution fielen nicht nur die Köpfe der Statuen an der Kathedrale von Reims zum Opfer, sondern auch – zumindest vorübergehend – die Minderheitensprachen, unter vielen anderen das Bretonische, das Katalanische, das Provenzalische. Umgekehrt werden Regionalsprachen im Rahmen von Unabhängigkeitsbestrebungen einzelner Regionen immer wieder politisch instrumentalisiert zur Abgrenzung gegenüber dem Gesamtstaat, wie es die aktuellen Entwicklungen in Katalonien vor Augen führen.

Sprache stiftet Identität – und zwar nicht nur eine nationale, sondern eben auch eine regionale. Die dialektale Färbung definiert die Zugehörigkeit zu einer Region. Die Dialekte werden auch bei uns durchaus öffentlich wirksam gepflegt. So verabschiedet der Nachrichtensprecher des SWR-Fernsehens die Zuschauer mit einem „Ade“. Identitätsstiftend ist die Sprache aber auch für den einzelnen Menschen. Sie definiert als Soziolekt seine Herkunft und die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe und sie lässt als Idiolekt Rückschlüsse auf seinen Charakter und seine Befindlichkeit zu.

Sprache vermittelt Begegnung. Sie macht das Fremde verständlicher. Und Verständnis ist die Voraussetzung für Toleranz. Wer sich um die Sprache des anderen bemüht, drückt Achtung und Wertschätzung aus. Deshalb versucht man als Reisender, sich wenigstens einige Grußformeln in der Sprache des besuchten Landes anzueignen. Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe nehmen aus diesem Grund an einem Arabisch-Kurs teil, um mit einigen Worten in der Fremdsprache ein Zeichen des Willkommens zu setzen. Der Spracherwerb bindet immer den Erwerb von interkulturellen Kenntnissen mit ein und öffnet den Blick für das andere, das dann nicht mehr fremd ist, sondern eben nur anders.
 

Die vhs sprachenschule

An der Volkshochschule kann man Sprachen lernen. Das ist allgemein bekannt. Der Umfang und die Breite des Angebotes könnten jedoch erstaunen. Der Programmbereich Sprachen ist ein Schwergewicht: Jährlich besuchen über 400.000 Menschen einen der 37.000 Sprachkurse an Volkshochschulen in BadenWürttemberg mit rund 1,5 Millionen Unterrichtsstunden. Das Angebot der großen Volkshochschulen umfasst bis zu 35 unterschiedliche Sprachen.

Im Jahre 1993 einigten sich die Volkshochschulen in Baden-Württemberg auf gemeinsame Qualitätsstandards im Programmbereich Sprachen, die seither unter dem Label vhs sprachenschule firmieren. Die einheitlichen Qualitätskriterien beziehen sich auf die Methodik und Didaktik des modernen Fremdsprachenunterrichts ebenso wie auf die Rahmenbedingungen des Sprachkursangebotes.

In Zeiten der Globalisierung und des weltweiten Netzes ist das Reisen, selbst in entfernteste Länder fast schon zum Alltag geworden und viele Menschen haben die Möglichkeit, die Fremdsprache einfach in dem Land, in dem sie gesprochen wird, zu erlernen oder sprachliche Grundlagen über die vielfältigen Internetangebote zu erwerben. Die Volkshochschule aber ermöglicht vor Ort über den reinen Spracherwerb hinaus durch Begegnungen und Kontakte, sehr häufig auch mit Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern, eine Erweiterung des gesellschaftlichen und kulturellen Horizontes.

  • Der Sprachkurs an der Volkshochschule zeichnet sich durch das Lernen in der Gruppe aus. Zusammen mit anderen Teilnehmenden kann die Kommunikation in der Fremdsprache sogleich trainiert werden. Die Gruppe motiviert die/den Einzelne/n zu kontinuierlichem Lernen und wirkt Vereinzelungstendenzen entgegen.
     
  • Mit dem Erlernen einer Sprache entsteht und wächst das Verständnis für die andere Kultur. In der Begegnung mit den häufig muttersprachlichen Kursleitenden wird diese Kultur lebendig und unmittelbar erlebbar. Der exemplarische Umgang mit dem Fremden innerhalb des Kursraumes und innerhalb des Sprachunterrichts ebnet den Weg für einen offenen Umgang mit „dem Anderen“ und ist somit wesentlich für das Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft.
     
  • Alle Volkshochschulen halten ein Sprachkursangebot in den großen Sprachen vor und ermöglichen somit das Sprachenlernen auch im ländlichen Raum. Kooperationen zwischen benachbarten Volkshochschulen sind in den Qualitätsstandards der vhs sprachenschule vorgesehen. Aufgrund solcher Zusammenarbeit können auch Kurse in seltener gelernten Sprachen durchgeführt werden, für die sich an einem Standort nicht genügend Interessierte finden würden. 
     


Die Volkshochschule, der Ort der Sprachenvielfalt

Die Volkshochschule fördert mit ihrem Angebot an Sprachkursen die individuelle Mehrsprachigkeit und unterstützt damit das von der Europäischen Union verfolgte Ziel, dass alle EU-Bürger/innen neben ihrer Muttersprache zwei weitere Sprachen beherrschen sollen.

Die Volkshochschule ist allerdings nicht nur der Ort, an dem viele Sprachen gelernt werden können, sondern auch der Ort, an dem sich Menschen mit vielen unterschiedlichen Herkunftssprachen begegnen. Dies sind zum einen die muttersprachlichen Kursleitenden der Sprachkurse. Zum zweiten die Teilnehmenden mit anderen Herkunftssprachen, die an der Volkshochschule einen Deutschkurs besuchen. Und nicht zuletzt sind dies die mehrsprachigen Mitarbeitenden der Volkshochschule. Somit ist die Volkshochschule DIE Institution in der Kommune, in der Sprachenvielfalt eine Selbstverständlichkeit ist.Wo sich viele Sprachen begegnen, begegnen sich viele Menschen aus unterschiedlichen Ländern und unterschiedlichen Kulturen – und eben auch aus allen gesellschaftlichen Milieus. Dies ist in einer Zeit, in der allenthalben von der Spaltung der Gesellschaft, insbesondere durch die Furcht vor Überfremdung, die Rede ist, eben nicht selbstverständlich. Die Volkshochschule ist deshalb gut beraten, ihr Potenzial als Ort der internationalen Begegnung zu erkennen, darzustellen und womöglich auszubauen.

Je nach Lage und Größe der Volkshochschule gibt es unterschiedliche Ansätze hierzu, so zum Beispiel:

  • Die Mehrsprachigkeit spiegelt sich stärker als bislang in der Präsentation der Volkshochschule wider.
     
  • Die Volkshochschule entwickelt ein Programmangebot, in dem Englisch die Kommunikationssprache ist.
     
  • Ein Angebot in den Herkunfts sprachen der Zugewanderten wird etabliert. Dazu werden Kursleitende unter den Zugewanderten gesucht und fortgebildet.
     
  • Lange Abende befassen sich mit Sprachgeschichte oder Sprachgeographie.
     
  • Immer mehr kleine und mittlere Kommunen verfolgen eine „Internationalisierungsstrategie“, mit der sie an Attraktivität für ausländische Fachkräfte gewinnen wollen. Die Volkshochschule kann der Kommune nicht nur als Vorbild dienen, sondern sie auf vielfältige Weise unterstützen.  

    Denn: Wer die Vielfalt der Sprachen schätzt, schätzt die Vielfalt der Menschen.