„Ein Grund für Bildung?!“

„Ein Grund für Bildung?!“

Autorin: Martina Haas, Fachreferentin Sprachen und Integration, Volkshochschulverband Baden-Württemberg

Die Bildungslandschaft ist reich an Definitionen von Grundbildung, die sich wahlweise an den Inhalten, an der Zielgruppe oder den zu erreichenden Kompetenzen orientieren:

 

  • Über viele Jahre hinweg stand die Alphabetisierung im Zentrum der Grundbildung, ergänzt durch Kurse in mathematischer Grundbildung. Heute gilt eine gewisse Einigkeit darüber, dass sich Grundbildung auf alle Wissensbereiche bezieht und man spricht deshalb u. a. von kultureller, gesundheitlicher, politischer, beruflicher Grundbildung.
  • Angebote der Grundbildung richten sich an Personen, im Allgemeinen deutsche Muttersprachlerinnen und -sprachler, die über keinen grundständigen Schulabschluss verfügen oder deren in der Schule erworbenen Kenntnisse und Kompetenzen im Laufe der Jahre verloren gegangen sind. Das Lernen und der Zugang zu Bildungs einrichtungen sind für sie nicht selbstverständlich, weshalb es besonderer aufsuchender Strukturen bedarf.
  • Grundbildung soll dem Menschen eine umfassende gesellschaftliche, politische, berufliche und kulturelle Teilhabe ermöglichen. Durch die erworbenen Kenntnisse und Kompetenzen entwickelt er sich zu einem selbstbestimmten, mündigen Menschen, der befähigt wird, die Welt kritisch zu betrachten.


Der Förderschwerpunkt der letzten Alpha-Dekade des Bundesministeriums für Bildung und Forschung lag bei der Arbeitsplatzorientierten Grundbildung, die sich vornehmlich an beruflich verwertbaren Kompetenzen orientiert. In der aktuellen Dekade liegt der Fokus auf dem lebensweltorientierten Ansatz. Der Grundgedanke hierbei ist es, den Nutzen von Bildungsangeboten für den Lernenden unmittelbar erlebbar zu machen, indem sie an konkrete An- und Herausforderungen im Alltag anknüpfen und zur besseren Bewältigung dieser Aufgaben beitragen. Im besten Fall werden die Bildungsmaßnahmen durch oder zumindest in Absprache mit der Zielgruppe entwickelt.

Trotz aller Bemühungen um innovative und lernerorientierte Angebote und geeignete Maßnahmen der im Sozialraum angesiedelten aufsuchenden Bildungsarbeit bleiben die Erfolge in der Grundbildung bescheiden.

„Ein Grund für Bildung?!“1, so der ansprechende Titel einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2011, der die Frage nach dem Zweck von Bildung und damit von Grundbildung stellt:

Die Entwicklungen im Bereich der Grundbildung orientierten sich in den vergangenen Jahren zu nehmend an Fragen der Nützlichkeit. Die Bildungsmaßnahmen sollten entweder die Arbeitsmarktverwert barkeit einer Person befördern oder sollten sich als nützlich für die Herausforderungen des Alltags erweisen. Der praktische Nutzen sollte Lernende von der Sinnhaftigkeit des Bildungsangebotes überzeugen.

Dieser utilitaristisch geprägte Ansatz leuchtet ein. Gleichzeitig weist man damit die Menschen in die Schranken ihrer eigenen Welt. Der Selbstzweck von Bildung ist jedoch genau das Gegenteil: Bildung weckt das Interesse für die Welt jenseits der eigenen Grenzen, für andere, fremde Lebenswelten. Sie eröffnet dem Menschen den Blick in die Weite und macht ihn neugierig. Wie wäre es also, wenn man unter „lebensweltorientierten“ Angeboten auch jene versteht, die sich auf andere Lebenswelten als die eigenen beziehen? Die Aufgabe der Volkshochschule bestünde dann darin, die Menschen bei der Begegnung mit der Vielfalt und Diversität der Welt zu begleiten. 

(1) Schneider, Ernst, Schneider (Hrsg.) (2011): „Ein Grund für Bildung?!“. Dokumentation zum Projekt EQUALS „Erhöhung von Effizienz und Qualität in der Alphabetisierung durch Lebensweltforschung und Entwicklung sozialintegrativer Beratungs- und Lernangebote“. Bielefeld.