Es war einmal… Integration

Es war einmal… Integration

Autorin: Martina Haas, Fachreferentin Sprachen und Integration, Volkshochschulverband Baden-Württemberg

Es war einmal eine Zeit, in der sich die Menschen häufig über die Verwendung von Wörtern wie „Menschen mit Migrationshintergrund“, „Biodeutsche“, „neue und alte Deutsche“, „Personen mit ausländischen Wurzeln“ gestritten haben…

Es war einmal eine Zeit, in der die einfache Frage: „Woher kommen Sie?“ großes Konfliktpotenzial entwickeln konnte. Der Gefragte reagierte empört, der Fragende konsterniert angesichts der Empörung des Gefragten…

Es war einmal eine Zeit, in der der Volkshochschulverband Baden-Württemberg zur Initiative „Gut ankommen – gut aufnehmen“ aufgerufen hat…

So ähnlich könnten Texte in der Zukunft beginnen, in einer Zukunft, in der wir nicht mehr über Integration sprechen müssen, weil sie zur Selbstverständlichkeit geworden ist. So lange diese Zukunft allerdings noch nicht eingetreten ist, werden die Volkshochschulen weiterhin die Menschen auf dem Weg in diese Zukunft begleiten. Dabei betrachten sie die Integration als zweiseitige Bildungsaufgabe: Die Volkshochschulen vermitteln Kenntnisse und Kompetenzen, die die Zugewanderten beim Ankommen unterstützen und den bereits hier Lebenden das Aufnehmen der zu uns Kommenden erleichtern. Es gilt dabei, unsere Sicht der Welt, unsere tradierten Erfahrungen und Selbstverständlichkeiten zu erweitern um die Kenntnis der Erfahrungen und Selbstverständlichkeiten anderer Kulturen.

Die Herausforderung für uns alle besteht darin, die eigene Vorstellung der Welt als eine von vielen möglichen zu erkennen. Anregungen hierzu aus allen Lebens- und damit Programmbereichen erhielten die Volkshochschulen bei der Fachtagung „Die Zukunft der Integration“ im März 2019, so zum Beispiel:

  • Bei der Begegnung mit künstlerischen Werken aus anderen Kulturkreisen wird klar, dass die Vorstellung von Kunst stark von den jeweils eigenen Traditionen geprägt ist. Ein allgemeingültiger Kunstbegriff scheint damit in Frage gestellt. Wem gebührt die Deutungshoheit von künstlerischer Ästhetik?
  • Im Gesundheitswesen müssen sich Ärzte und Pflegepersonal im Umgang mit Patienten darüber im Klaren sein, dass Menschen aus anderen Kulturkreisen auf andere Art mit Schmerzen, Schmerzempfindung und deren Verbalisierung umgehen. Ohne dieses Bewusstsein kann es leicht zu Fehlinterpretationen und Fehldiagnosen kommen.
  • Sprache ist und bleibt die Voraussetzung für die Verständigung im Alltag. Neben dem Erlernen der deutschen Sprache – von Anfang an und so nachhaltig wie möglich – ist es wichtig, bei den Zugewanderten ebenso wie bei den deutschen Muttersprachler/innen ein Bewusstsein für die persönlichen, gesellschaftlichen und beruflichen Chancen von Mehrsprachigkeit zu schaffen.
  • Das Ausüben einer beruflichen Tätigkeit ist eine wesentliche Säule der nachhaltigen Integration. Höchste Priorität hat häufig verständlicherweise die rasche Vermittlung in niedrigschwellige Tätigkeiten. Langfristiges Ziel sollte sein, die zu uns Kommenden mit den Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung vertraut zu machen.
     

Der Soziologe Aladin El Mafaalani behauptet in seinem 2018 erschienen Buch „Das Integrationsparadox“, dass die Integration, „das Zusammenwachsen der Gesellschaft“[1], bereits sehr weit vorangeschritten ist. Die Konflikte und Spannungen, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, sind für ihn deshalb vielmehr ein positives Zeichen für die offene Gesellschaft, die streitet und diskutiert.
 

Die Volkshochschule ist der Ort, an dem dieses Streiten und Diskutieren stattfinden kann. Sie gestaltet die Begegnung zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und bietet ihnen die Möglichkeit miteinander ins Gespräch zu kommen. Diese Streitkultur gilt es zu pflegen und auszubauen.
 

(1) Vgl. El Mafaalani, Aladin (2019): Das Integrationsparadox, S. 13 f.