vhs analogital – auch noch in 100 Jahren?!

Autorin: Dr. Julia Gassner, Fachreferentin für Digitalisierung, Volkshochschulverband Baden-Württemberg

100 Jahre sind in der digitalisierten Gesellschaft eine „gefühlte“ Ewigkeit. Doch auch wenn heute noch nicht absehbar ist, wie Digitalisierung das Lehren, Lernen, Kommunizieren und Arbeiten an der Volkshochschule weiter verändern wird, ist eines sicher: Es wird sich ändern. Nach einer Phase der Initialisierung, in der einzelne Volkshochschulen mit neuen Lernformen experimentierten, befindet sich die vhs-­Welt momentan in der Phase der Ausbreitung, in der die Digitalisierung immer mehr vhs-Mitarbeitende, -Kursleitende und -Teilnehmende erreicht: Volkshochschulen investieren in die technische Ausstattung ihrer Räume, sie entwickeln digitale Materialien und neue Formate und bilden ihre Kursleitenden weiter.

Vom Lernen mit neuen Medien ...

Auf dem Weg zur Phase der Integration, in der digitale Medien ganz selbstverständlich genutzt werden, gilt es nun, den Fokus zu verändern: Nicht die digitalen Tools, ob Smartphone, Beamer oder vhs.cloud, sollten im Mittelpunkt stehen, auch wenn der rasche Innovationszyklus der technischen Entwicklungen hohe Aufmerksamkeit erfordert. Vielmehr lautet die entscheidende Frage, welche aktuellen, zeitgemäßen Lernformen die digitalen Medien ermöglichen. Zum Beispiel erlauben Online­-Lernmaterialien und virtuelle Kursräume flexibles Lernen nahezu überall und fast jederzeit. Doch auch in diesen Szenarien benötigen Lernende weiterhin Unterstützung: Lernbegleiterinnen und -begleiter, die sie motivieren, Mit-Lernende, mit denen sie ihre Fragen diskutieren können – dies zeigen nicht zuletzt die hohen Abbruchquoten reiner Online-Kurse.(1) Volkshochschulen und Kursleitende sind also auch in einer stärker digitalisierten Lernwelt wichtig, sie benötigen aber neue Kompetenzen, um neue Aufgaben zu bewältigen.

... zum neuen Lernen mit Medien

Das neue Lernen mit Medien integriert auch digitale Devices in den Präsenzunterricht: Stimmungsbilder und Feedback werden per App eingeholt, Kursleitende und Teilnehmende drehen Videos oder nehmen Podcasts auf. Neben geschulten Kursleitenden sind geeignete Räume eine Voraussetzung für diese neuen Lernformen: WLAN und Steckdosen gehören zur Grundausstattung. Sitzgelegenheiten, Rückzugsmöglichkeiten für kleine Lerngruppen und Selbstlernende, Getränke und Toiletten ergänzen sie idealerweise. Denn wenn Lernen immer und überall stattfinden kann, brauchen Teilnehmende einen Grund, weiterhin zur vhs zu kommen: Für manche bietet sie Platz und Ruhe zum Lernen, für andere die Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen.

vhs als Ort des Präsenzlernens ...

In einer Gesellschaft, die stark von Digitalisierung geprägt ist, kann die Volkshochschule auch das sein: ein Gegengewicht. Ein Ort, an dem man gemeinsam lernt, mit Kopf, Herz, Hand und dem ganzen Körper. Das Konzept des „Dritten Orts“ nach Ray Oldenburg(2) bietet Volkshochschulen Orientierung für eine mögliche Ausrichtung in einer digitalisierten Gesellschaft. Ebenso das Konzept des „Dritten Programms“ des vhs-Verbandes, das – neben dem offenen Programm und den Auftragsmaßnahmen – lokale Themen aufgreift und moderiert.

... mit digitalem Service

Flankiert werden die Lernangebote, egal ob im Präsenz- oder Online-Format, zunehmend mit digitalen Serviceleistungen, gerade weil Teilnehmende dies aus anderen Lebensbereichen kennen. Eine Website mit responsivem Design und die Beteiligung an zentralen Plattformen wie volkshochschule.de oder fortbildung-bw.de sind wichtig, um online auffindbar zu sein. Neben einer komfortablen Online-Anmeldung schätzen Teilnehmende zusätzliche Services wie ein Kunden-Login oder Bezahlungsmöglichkeiten per Kreditkarte oder Paypal. Auch dabei zählt eine gute Balance zwischen analog und digital: Kurze Videos auf der Website vermitteln einen lebendigen Eindruck von Kursleitung, Teilnehmen-den und Räumen und machen Lust, den Kurs live zu erleben. Bildungsberatung kann online per Chat oder Webkonferenz stattfinden und trotzdem (oder gerade deshalb) ganz individuell und persönlich sein. Einfache Fragen könnten dagegen schon bald auch mit Hilfe künstlicher Intelligenz beantwortet werden – damit vhs-Mitarbeitende, -Kursleitende und -Teilnehmende sich auf das neue Lernen konzentrieren können, mit oder ohne neue Medien.

 

(1) Bei offenen Online-Kursen, sog. MOOCs, sind Dropout-Raten von 90–95% keine Seltenheit, vgl. Schön, Sandra & Ebner, Martin (2018). Massive Open Online Courses. In K. Wilbers & A. Hohenstein (Hrsg.), Handbuch E-Learning. Expertenwissen aus Wissenschaft und Praxis – Strategien, Instrumente, Fallstudien. 73. Erg.-Lfg. des Handbuchs E-Learning, 9.8, S. 1–21.

(2) Vgl. Oldenburg, Ray (1989): The Great Good Place. Cafes, Coffee Shops, Community Centers, General Stores, Bars, Hangouts, and How They Get You through the Day.