vhs für Zusammenhalt – Ein Blick auf die gesellschaftliche Bildung?

Autor: Dr. Michael Lesky, Bildungsmanager Politik - Gesellschaft - Umwelt, Volkshochschulverband Baden-Württemberg

Es gibt Anzeichen, dass wir uns am Ende eines langen wirtschaftlichen Aufschwungs befinden. Ängste vor dem Abschwung, Ängste um den Verlust unserer Werte und Ängste vor Migration bestimmen zunehmend die öffentliche Debatte. Das politische Klima ist vergiftet und unser Umgang miteinander verroht. Das Vertrauen in die politischen Institutionen ist niedrig und zumindest kurzfristig nochmals gesunken. Die Menschen sind verunsichert und das Vertrauen in die Grundlagen unserer Gesellschaft – Demokratie und Vielfalt – schwindet.1

Warum ist diese Entwicklung so bedrohlich? Eine Gesellschaft funktioniert nur dann gut, wenn ihre Bürgerinnen und Bürger friedlich und respektvoll zusammenleben. Die Basis hierfür ist ein Grundkonsens gemeinsamer Werte, der auf unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung beruht. Aber auch soziale Regeln des Miteinanders, die Verbundenheit mit dem Gemeinwesen und das Vertrauen in Institutionen sind Kitt für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt.2 Gefordert sind Staat und Gesellschaft, aber auch die Erwachsenenbildung.

Was kann die Erwachsenenbildung an den Volkshochschulen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen? Bedarf es spezieller Angebote für die besorgten Bürgerinnen und Bürger und besonderer Angebote für die Menschen, die in unsere Gesellschaft integriert werden sollen? Oder wird genau gegenteilige Bildung, nämlich inklusive Bildung für Alle, benötigt?

Beide Fragen können nur mit Ja beantwortet werden und trotzdem schließen sie sich nicht aus: Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit die Mitte unserer Gesellschaft zu stärken, bedarf es beider Herangehensweisen: zielgruppenorientierter Bildung und inklusiver Bildung.

Zielgruppenorientierte Bildungsarbeit

Bestandteil der klassischen Volkshochschularbeit ist die Wissensvermittlung, mit der die Volkshochschule auch auf die Ängste der Menschen reagiert. Die Antwort auf die häufig irrationalen Ängste der Menschen vor sozialen und globalen Veränderungen ist Wissensvermittlung, die den Menschen hilft, die gesellschaftlichen Zusammenhänge und Entwicklungen besser verstehen und kritisch bewerten zu können. Doch bleibt die Bildungsarbeit der Volkshochschule nicht bei der Wissensvermittlung stehen, sondern vermittelt auch Handlungs- und Partizipationskompetenzen und befähigt so die Bürgerinnen und Bürger zur aktiven Teilhabe an unserer Gesellschaft. Bei realen Ängsten vor sozialem Abstieg und existierenden Notlagen unterstützt die Volkshochschule mit niedrigschwelligen und aufsuchenden Bildungsangeboten und vermittelt die notwendigen Kompetenzen. Im Zentrum dieser Bildungsbemühungen steht eine Allgemeinbildung, die den ganzen Menschen in den Blick nimmt, sich an alle Menschen richtet und so zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigt.

Inklusive Bildung

Das Konzept der sozialen Inklusion fordert eine Gesellschaft, in der jeder Mensch in seiner Individualität von der Gesellschaft akzeptiert wird und gleich berechtigt und selbstbestimmt an dieser teilhaben kann. Eine definierte Normalität gibt es in dieser Gesellschaft nicht mehr, vielmehr werden Unterschiede als Bereicherung angesehen und von der Gesellschaft weder in Frage gestellt noch als Besonderheit gesehen. Aufgabe der Gesellschaft ist es, in allen Lebensbereichen Strukturen zu schaffen, die es ihren Mitgliedern ermöglichen, sich barrierefrei darin zu bewegen.3 Nimmt die Bildungsarbeit dieses Konzept der sozialen Inklusion ernst, verzichtet sie in bestimmten Bildungsangeboten ganz bewusst auf eine Zielgruppenorientierung – indem sie einen neutralen Begegnungsort bietet und Vielfalt erlebbar macht. 

Da Vorurteile und gruppenbezogene Ressentiments besonders dort entstehen, wo Menschen in eingegrenzten gesellschaftlichen Räumen und Echokammern leben und kein diskursiver Austausch stattfindet 4, kann die vielfältige Volkshochschule einen Kontrapunkt zur sozialen Ausgrenzung bilden und so den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Allerdings reicht die Existenz von Vielfalt alleine nicht aus, sondern die Volkshochschule muss ihren Standpunkt deutlich in die Öffentlichkeit tragen (Öffentlichkeitsarbeit), in der Institution Vielfalt leben (Personalentwicklung) und die Menschen in den Programmangeboten zum Diskutieren und Streiten aktivieren.

Und auch beim Diskutieren und Streiten werden besondere Kompetenzen benötigt: Wichtig ist eine Streitkultur, die das Gegenüber respektiert, sich mit Argumenten sachlich auseinandersetzen sowie andere und anderes aushalten kann.5

Dafür bedarf es politischer, sozialer und kultureller Kompetenzen – wie sie im ganzheitlichen Bildungsansatz der Volkshochschule vermittelt werden. Aus (Persönlichkeits-)Bildung entsteht Haltung. Und nur mit echten Ecken und Kanten kann es zu einem produktiven Diskurs kommen.

Produktiver Diskurs, Persönlichkeitsbildung, lebendige Vielfalt, neutraler Begegnungsort mit zielgruppenorientierten und inklusiven Angeboten: An der Volkshochschule lernen und erleben die Menschen Demokratie, Weltoffenheit, Vielfalt und Gleichwertigkeit – Volkshochschule ist nicht nur ein Ort des gesellschaftlichen Zusammenhalts, sondern auch ein wichtiger Baustein für das Funktionieren unserer Gesellschaft.

 

Quellen:

  1. Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.), „Schwindendes Vertrauen in Politik und Parteien. Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt?“ (2019) S. 18.
  2. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, „Gesellschaftlicher Zusammenhalt – der Kitt unserer Gesellschaft“: https://www.bmi.bund.de/DE/themen/heimatintegration/gesellschaftlicher-zusammenhalt/gesellschaftlicherzusammenhalt-node.html, abgerufen am 18.09.2019.
  3. vhs von A bis Z, Volkshochschulverband Baden-Württemberg (2018) S. 18.
  4. Sabine Achour, Die „Gespaltene Gesellschaft“. Herausforderungen und Konsequenzen für die politische Bildung APuz 13–14 (2018) S. 44 f.
  5. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier in „Unsere Verant wortung kennt keinen Schlussstrich“, „Der SPIEGEL“ 38 (2019) S. 26.