Netze und Vernetzung nutzen - digitale Medien und gesellschaftlicher Zusammenhalt

Autorin: Dr. Julia Gassner, Fachreferentin Kultur – Gestalten, Volkshochschulverband Baden-Württemberg

In den 1990er Jahren, in den Anfangszeiten des World Wide Web, standen die verbindenden Eigenschaften dieses neuen Netzes im Vordergrund: Menschen konnten sich nun im „global village“ (Marshall McLuhan) treffen, weltweit Zugang zu Informationen erhalten, sich einfach an demokratischen Prozessen von der Diskussion bis hin zur Abstimmung beteiligen. Heute fallen dagegen eher Begriffe wie „digital divide“ oder „hate speech“, wenn über die Auswirkungen des Internets diskutiert wird: „Wohl selten hat eine Erfindung, deren wichtigstes Ziel die Verbindung ist, so sehr zu Trennung und Unterscheidung geführt.“1

Um zu klären, ob digitale Medien nicht doch auch (immer noch) Chancen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bieten, müssen zunächst zwei Ebenen der Trennung unterschieden werden: Zum einen haben nicht alle Menschen in Deutschland Zugang zum Internet. 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind (noch) nicht online2 – und nicht alle, die über einen Zugang verfügen, nutzen die Möglichkeiten digitaler Medien aktiv und selbstbestimmt. Ein Riss zieht sich also entlang der unterschiedlich ausgeprägten Nutzung digitaler Medien.

Zum anderen betrifft die Spaltung den Teil der Gesellschaft, der online aktiv ist: Die Fülle und Vielfalt der vorhandenen Informationen bietet allen die Möglichkeit, diejenigen Nachrichtenseiten, Blogs oder social media-Posts zu rezipieren, die ihren individuellen Bedürfnissen entsprechen. Die Algorithmen der sozialen Netzwerke, die den Nutzerinnen und Nutzern auf der Basis der gelesenen Beiträge weitere, ähnliche Inhalte empfehlen, tun ihr Übriges dazu, dass Teil-Öffentlichkeiten und Filterblasen entstehen. Darüber hinaus verleitet die Anonymität des Internets zu einem raueren Umgangston bis hin zu Drohungen und Hass.

Wie kann die digitale Spaltung überwunden werden?

Was ist angesichts dieser zweifachen Spaltung zu tun? Wie kann sie überwunden werden – und wie können digitale Medien zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen?

Die Basis bildet eine Zugangsmöglichkeit zum Internet: Wer kein eigenes Smartphone, Tablet oder Notebook hat oder will, benötigt Nutzungsmöglichkeiten in öffentlichen Einrichtungen. Die große Nachfrage nach Arbeitsplätzen mit Internetanschluss in Bibliotheken zeigt, dass hier Bedarf besteht. Auch Mediencafés oder -lounges sind denkbar, in denen die Technik je nach Bedarf begleitet oder selbstständig ausprobiert werden kann.

Ergänzend sind Angebote zur Förderung der Medienkompetenz erforderlich: Der Umgang mit digitalen Medien zählt heute neben Lesen, Schreiben und Rechnen zu den notwendigen Grundkompetenzen für gesellschaftliche Teilhabe. Als „digital immigrants“, d. h. vor dem Internetzeitalter Aufgewachsene, haben hier viele Bürgerinnen und Bürger noch Nachholbedarf. Und auch „digital natives“, die in der Handhabung der technischen Tools geübt sind, verfügen nicht unbedingt über ausreichende Medienkompetenz. Der „DigComp“, der Europäische Referenzrahmen für digitale Kompetenzen, definiert fünf Kompetenzbereiche, darunter „Umgang mit Informationen und Daten“ und „Sicherheit“, aber auch „Kommunikation und Zusammenarbeit mittels digitaler Technologien“.3 Solche Kompetenzen können gezielt vermittelt werden – aber gut auch „nebenbei“, wenn digitale Medien in den Unterricht einbezogen und ihr Gebrauch reflektiert werden.

Wie können digitale Medien zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen?

Auf der Basis von Zugang und kompetenter Nutzung können digitale Medien ihr Potential zum Zusammenhalt der Gesellschaft entfalten: Das fängt im ganz Kleinen an, wenn etwa Großeltern mit ihren Enkelkindern per Skype in Kontakt bleiben. Es zieht weitere Kreise, wenn zum Beispiel Online-Plattformen genutzt werden, um in der Nachbarschaft Werkzeug oder Autos zu „teilen“ bzw. gemeinsam zu nutzen und auf diese Weise vorher ungeahnte Verbindungen und neue Kontakte entstehen. Und es bietet die Chance, weltweite gesellschaftliche Bewegungen ins Rollen zu bringen und zu koordinieren, wie es die aktuellen Beispiele von „#MeToo“ bis „Fridays for Future“ zeigen. Hashtags und Online-Petitionen mögen die Gesellschaft nicht zusammenhalten – aber sie zeigen, welche Themen und Werte ihr wichtig sind, auf welche gemeinsamen Linien sie sich verständigen kann und sie können damit zu Entwicklungen im „echten Leben“ führen. 

Nicht zuletzt können Menschen in sozialen Netzwerken und mit digitalen Medien voneinander und miteinander lernen. Dieses Potential zeigt sich zum Beispiel in MOOCs, Massive Open Online Courses, die Menschen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen, was Alter, Herkunft, Kultur oder Vorbildung betrifft, Zugang zu aktuellem Wissen sowie gemeinsames Lernen ermöglicht. Um dies zu betonen, schlägt Jöran Muuß-Merholz vor, das „C“ nicht mit „Course“, sondern mit „Community“ zu übersetzen4: Es bilden sich Online-Lerngemeinschaften, die das Interesse am Thema verbindet und bei denen Statusunterschiede und andere trennende Faktoren eine weniger große Rolle spielen als in klassischen (Präsenz-)Kursen. 

Volkshochschulen können dieses den Zusammenhalt fördernde Potential digitaler Medien unterstützen, indem sie Zugang zur Technologie anbieten, Medienkompetenz vermitteln, Lerngemeinschaften ins Leben rufen und ihre Teilnehmenden dabei begleiten, diese Möglichkeiten zu entdecken und zu nutzen. Aber auch jede und jeder einzelne kann dazu beitragen, dass dieses verbindende Potential (wieder) zum Tragen kommt. Zum Beispiel, indem man das eigene Medienverhalten überprüft. Medienjournalist Dirk von Gehlen rät etwa dazu, E-Mails, Forenbeiträge und andere Postings vor dem Absenden laut, langsam und deutlich dem Zimmernachbarn vorzulesen.5 Das fördert übrigens nicht nur die Qualität der Beiträge, sondern auch den Austausch und den Perspektivenwechsel – zwei gute Voraussetzungen für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt.

 

Quellen:

(1) Dirk von Gehlen: Gebrauchsanweisung für das Internet. 2018.

(2) ARD/ZDF-Online-Studie 2018. http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/ardzdf-onlinestudie-2018/.

(3) https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1315&langId=en#navItem-1.

(4) Jöran Muuß-Merholz: „Lerngemeinschaft“ statt „Kurs“ – ein alternatives Leitbild für Onlinekurse (MOOCs): https://www.joeran.de/lerngemeinschaft-statt-kurs-ein-alternatives-leitbild-fueronlinekurse-moocs/#more-10166.

(5) Vgl. dazu auch die sieben Regeln für mehr Social Media Gelassenheit: https://gegen-die-panik.de.