Neue Wege, Chancen und Herausforderungen - vhs in Zeiten des Umbruchs

Autor: Dr. Tobias Diemer, Verbandsdirektor des Volkshochschulverbandes Baden-Württemberg

Aktuell wird immer klarer: Wir leben in einer Zeit tiefgreifender und langfristiger Umbrüche und Transformationen. Ein wesentlicher Faktor dabei ist die Digitalisierung mit ihren vielfältigen direkten und indirekten Folgen in Gesellschaft, Politik und Arbeitsleben. Ein zweites Thema ist der menschengemachte Klimawandel und seine zunehmend spürbaren ökologischen, wirtschaftlichen und auch sozialen Folgen. Hinzu kommen weitere Fragen, die uns ebenfalls auf Jahre, vielleicht auf Jahrzehnte hinaus beschäftigen werden: so etwa die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts in einer kulturell diverser werdenden Gesellschaft, sowie Fragen, die mit der demografischen Entwicklung unserer älter werdenden Gesellschaft zusammenhängen. Gemeinsam ist diesen Fragen: Wir alle sind auf die eine oder andere Art davon betroffen: jede*r Einzelne als Individuum im privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Leben; und wir alle zusammen als Gesellschaft, als Staatswesen und als Wirtschaftssystem. Daher müssen wir uns auch und gerade im Bereich der Bildung, und besonders auch der Erwachsenenbildung und der Volkshochschule, mit diesen Herausforderungen beschäftigen. Als öffentliche Institution der Daseinsvorsorge und der Bildung für alle müssen wir uns fragen, welche Haltung wir dazu einnehmen und welche Beiträge wir leisten wollen und können.

1. Digitalisierung

Digitalisierung beschreibt zunächst eine Reihe technologischer Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte: die massenhafte Verbreitung des Personal Computer seit den 1990er Jahren, die weltweite Ausbreitung des World Wide Web seit den 2000er Jahren, die entstandene Allgegenwart des Smartphones samt seiner App- und Cloud-Welten seit den 2010er Jahren. Aktuell außerdem die zunehmende Durchdringung der neuen digitalen Datenwirklichkeiten durch Algorithmen und künstliche Intelligenz.

Bis vor wenigen Jahren konnten diese technologischen Entwicklungen noch als lineare Fortschritte und Optimierungen von zuvor analog verfassten Kulturtechniken verstanden werden. Inzwischen zeigt sich jedoch, dass hier neue, eigene Wirklichkeiten entstehen, die vieles ganz grundlegend verändern werden: nicht nur die Art, wie wir kommunizieren, sondern auch, wie wir leben, wie wir arbeiten, und auch, wie wir lernen. Die aktuelle Entwicklung der Digitalisierung wird daher bereits mit der Erfindung des Buchdrucks vor fast 600 Jahren verglichen, die der Grundstein für viele umwälzende Veränderungen in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft der darauf folgenden Jahrzehnte und Jahrhunderte wurde.

Für den Bereich der Bildung im Allgemeinen und für die allgemeine und berufliche Weiterbildung an den Volkshochschulen im Besonderen folgen hieraus unmittelbar zwei Aufgaben oder Herausforderungen: Die erste besteht in der Vermittlung sog. Digitalkompetenzen für die Nutzung der neu entstehenden digitalen Kulturtechniken, da diese für gesellschaftliche und berufliche Teilhabe immer entscheidender werden. Damit eng verknüpft ist zweitens die Aufgabe, die neu entstehenden digitalen Möglichkeiten für die Gestaltung von Bildungsprozessen zu nutzen. Mithin wäre es ein praktischer Widerspruch, digitale Kompetenzen auf rein analogem Weg vermitteln zu wollen.

Dies ist indes noch nicht alles. Drittens kommt ganz wesentlich hinzu, dass durch die Digitalisierung neue Kompetenzen an Bedeutung gewinnen. Die traditionell im Mittelpunkt stehende Vermittlung und Aneignung von Wissen und von Basis- und Fachkompetenzen bleibt wichtig. Aber: Durch die Digitalisierung ist Wissen heute sehr viel leichter verfügbar und verändert sich in vielen Bereichen sehr viel schneller. Außerdem bedeutet Digitalisierung in vielen Bereichen auch Automatisierung einfacher und zunehmend auch wissensbasierter Tätigkeiten (Stichwort Künstliche Intelligenz). Aus diesen Gründen werden nicht-digitalisierbare, zutiefst menschliche Kompetenzen wie Kreativität, Kollaboration, Kommunikation und kritisches Denken in vielen Lebensbereichen und in der Arbeitswelt an Bedeutung gewinnen. Diskutiert werden solche neuen Kompetenzen derzeit unter Sammelbegriffen wie „21st century skills“ (OECD 2019) oder „Future Skills“ (Spiegel u.a. 2021); die Frage ihrer Förderung ist eine Schlüsselfrage für den gesamten Bildungsbereich, auch für die allgemeine und besonders auch für die berufliche Weiterbildung.

2. Klimawandel 

Eine vom Ursprung her ganz anders gelagerte Herausforderung stellt das Problem des Klimawandels dar. Der Begriff bezeichnet zunächst einmal die naturwissenschaftliche Tatsache, dass sich die durchschnittliche Temperatur der erdnahen Atmosphäre in den vergangenen Jahrzehnten messbar um ca. 1 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit (1850 bis 1900) erwärmt hat. Nach
dem jüngsten Bericht des Weltklimarats droht bereits im Jahr 2030 das Erreichen der 1,5-Grad-Marke (siehe IPCC 2021). Das heißt, auch die Geschwindigkeit, mit der sich die Atmosphäre erwärmt, steigt seit einigen Jahren. Bis im Jahr 2050 werden so laut aktueller Prognose bereits 2,0 Grad und bis 2100 mindestens 3,0 Grad Celsius erreicht sein. Dies gilt für den Fall, dass wir nicht massiv gegensteuern und die ursächlichen Emissionen von Treibhausgasen wie Kohlendioxid oder Methan drastisch reduzieren.

Laut dem von 195 Staaten und der EU geschlossenen und im Jahr 2016 in Kraft getretenen UN-Klimaabkommen soll und kann die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden, wahrscheinlicher sind 2,0 Grad Celsius (siehe UNFCCC 2016). So oder so bedarf es dafür einer
massiven Reduktion von Treibhausgasen und entsprechend groß angelegter Veränderungen. Angesichts
der Prognosen des Klimarates müssen diese außerdem schnell, das heißt in den nächsten 10 bis 30
Jahren, umgesetzt werden. Dass die Zeit drängt, ist ein zuvorderst wissenschaftlich fundierter und kein politisch motivierter Sachverhalt.

Die Bewältigung dieser enormen Herausforderung ist in erster Linie eine politische Aufgabe sowie eine Aufgabe für Industrie und Wissenschaft, die darin besteht, klimaneutrale Alternativen zu bisherigen Technologien zu entwickeln und durchzusetzen. Gleichzeitig ergeben sich daraus aber auch neue Aufgaben für die Bildung, insbesondere auch die allgemeine Weiterbildung und uns Volkshochschulen. Der Grund hierfür ist wiederum denkbar einfach: Es betrifft uns alle, und zwar
in allen Lebensbereichen: im privaten wie im gesellschaftlichen wie im beruflichen.

Etwas genauer lassen sich hier drei Aufgaben abschichten. Eine erste Aufgabe ist sicherlich die Vermittlung von relevantem wissenschaftlichem Wissen zum Klimawandel, insbesondere mit Bezug auf die lokalen und regionalen Auswirkungen. Als zweite Aufgabe gehört dazu die Beschäftigung
mit ganz praktischen Fragen: zum einen im Bereich der persönlichen Lebensführung (z. B. Konsumverhalten, Ernährung, Hausbau, Finanzanlagen etc.), zum anderen auch im öffentlichen Bereich (z. B. neue Mobilitäts- und Verkehrskonzepte, Klimabilanz der Kommune etc.). Eine dritte wichtige Aufgabe besteht außerdem in der Förderung von Schlüsselkompetenzen zur Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft. Einen wesentlichen Orientierungsrahmen zur Konkretisierung dieser Aufgaben stellen die von den Vereinten Nationen im Jahr 2015 vereinbarten 17 Nachhaltigkeitsziele („sustainable development goals“) sowie die Agenda 2030 zu ihrer Umsetzung dar (siehe UN 2015 und UNESCO 2019).

3. Kulturelle Diversität und alternde Gesellschaft 

Die Themen kulturelle Diversität und alternde Gesellschaft markieren zwei weitere Entwicklungen im Umfeld unserer Arbeit in den Volkshochschulen, die sich nicht nur aktuell, sondern noch auf Jahre hinaus auswirken werden. Beide Themen beaktuelles treffen ganz zentral den in die DNA von Volkshochschule als öffentliche Weiterbildungsinstitution eingeschriebenen Auftrag, Bildung für alle zu bieten.

Die eine Entwicklung, um die es faktisch geht, ist die zunehmende kulturelle Vielfalt der Bevölkerung. Im Jahr 2019 hatten 26 % bzw. 21,2 Mio. der in Deutschland lebenden Menschen einen Migrationshintergrund, mit weiterhin steigender Tendenz. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Der daraus erwachsene Bedarf an Sprach- und Integrationskursen wird durch Volkshochschulen bereits seit Jahren in großem Umfang bearbeitet. Zunehmend wichtig werden darüber hinaus weitere Aufgaben: Die Erhöhung der Beteiligung von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen sowie aus bildungsungewohnten Milieus an den allgemeinen und beruflichen Weiterbildungsangeboten ist eine davon. Zusammen mit der Entwicklung entsprechender Inhalte und Formate werden aufsuchende Bildungsarbeit und niedrigschwellige Weiterbildungsberatung hier entscheidend sein. Gleichzeitig gilt es, das vorhandene Potenzial von Volkshochschule als Ort der Begegnung und Verständigung von Menschen aus unterschiedlichen kulturellen und sozialen Milieus zur Entfaltung zu bringen und damit einen Beitrag zur Entwicklung des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu leisten.

Die zweite angesprochene Entwicklung besteht darin, dass die Bevölkerung älter wird. Bis zum Jahr 2040 wird die Zahl der 20- bis 67-Jährigen um ca. 6 Mio. von ca. 52 Mio. (im Jahr 2020) auf 46 Mio. Menschen sinken. Gleichzeitig wird die Zahl der über-67-Jährigen um 5. Mio. von ca. 16 Mio. auf ca. 21 Mio. Menschen steigen, wozu auch die Verlängerung dieser Lebensphase durch eine Erhöhung der Lebenserwartung beiträgt. Für die allgemeine Weiterbildung wird durch diese langfristige demografische Entwicklung eine Reihe von Themen an Bedeutung gewinnen. Zu erwarten ist, dass Fragen einer bewussten, gesunden Lebensführung in der Breite der Bevölkerung weiterhin wichtiger werden; gleichzeitig werden Alterskrankheiten und das Leben mit ihnen für viele Menschen relevanter. Aber auch strukturelle Fragen wie die Finanzierung des Rentensystems oder des Gesundheitssystems, verbunden mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit zwischen den Generationen, werden sich als gesellschaftliche Themen und Herausforderungen der allgemeinen Weiterbildung aufdrängen.

Fazit 

Mit Digitalisierung, Klimaschutz, kultureller Diversität, alternder Gesellschaft sind zentrale, langfristige gesellschaftliche Transformationen verbunden, die zentrale Herausforderungen für die allgemeine und berufliche Weiterbildung an Volkshochschulen darstellen. Dazu müssen wir uns in Zukunft verhalten. Was heißt das? Zum einen heißt es, dass es sich um Querschnittsthemen handelt, die horizontal zu den etablierten vertikalen sechs Programmbereichen „Politik – Gesellschaft – Umwelt“, „Kultur – Gestalten“, „Sprachen und Integration“, „Gesundheit“, „Arbeit – Beruf“ sowie „Grundbildung und Schulabschlüsse“ liegen. In allen Programmbereichen wird es in jeweils eigener Weise darum gehen, mit Inhalten und Formaten auf diese Herausforderungen zu antworten. Zum anderen wird es darum gehen, dass wir uns als öffentliche Institution der allgemeinen Weiterbildung dazu verhalten. Das bedeutet, dass wir in unseren Programmen und auch in
unseren Organisationen und Räumen eine nach innen wie nach außen spürbare Haltung leben und ausstrahlen, die für digitale Kompetenz, aktiven Klimaschutz, kulturelle Diversität und generationenübergreifende Solidarität steht: in Fortsetzung der über hundertjährigen Tradition von Volkshochschule als öffentlicher Ort der Begegnung und Bildung für alle.

 

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Spiegel, Peter; Pechstein, Arndt; Ternès von Hattburg, Anabel; Grüneberg, Annekathrin (Hrsg.): Future Skills: 30 Zukunftsentscheidende Kompetenzen und wie wir sie lernen können. München: Vahlen 2021.

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UNESCO (Hrsg.): Bildung für nachhaltige Entwicklung: die globalen Nachhaltigkeitsziele verwirklichen (BNE 2030). Bonn: Deutsche UNESCO-Kommission 2019. Quelle: https://www.unesco.de/bildung/bildung-fuer-nachhaltige-entwicklung/unesco-programm-bne-2030

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Martens, Jan; Obenland, Wolfgang: Die Agenda 2030 Globale Zukunftsziele für nachhaltige
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