Aufsuchende Bildungsarbeit - Neue Wege in der Bildungsarbeit erfordern neue Qualifizierungen für Kursleitende und planendes Personal

Autor: Dr. Michael Lesky, Fachreferent Politik - Gesellschaft - Umwelt 

Trotz des öffentlichen Auftrags vieler Weiterbildungsträger, Bildungsangebote für alle Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen, werden von den bisherigen Angeboten immer noch überwiegend bildungsaffine Personen in privilegierten Lebenslagen angesprochen. Vor diesem Hintergrund wächst die Relevanz einer aufsuchenden Bildungsarbeit in der Erwachsenenbildung, da Menschen in besonderen Lebenslagen oder aus sozial benachteiligten Schichten oftmals von „herkömmlichen“ Bildungsangeboten mit Komm-Strukturen, Kostenbeiträgen und verbindlicher vorheriger Anmeldung kaum erreicht werden. Will Volkshochschule wirklich Bildung für Alle anbieten, muss es einen Perspektivwechsel geben – Bildung findet an den Orten statt, wo die Menschen leben – in Stadtteilen, kirchlichen Einrichtungen, am Arbeitsplatz etc. Dies bedeutet auch eine Neuformulierung von Bildungszielen und -inhalten, passend zu den jeweiligen Lebenswelten der Adressat*innen. Es bedarf aber auch einer Selbstvergewisserung über den eigenen Bildungsauftrag, der Menschen in besonderen Lebenssituationen explizit stärker als Zielgruppe der eigenen Bildungsarbeit adressiert.

Bereits hier wird deutlich, dass diese Form der Bildungsarbeit mit neuen Herausforderungen einhergeht, wie etwa der Finanzierung niedrigschwelliger Projekte, der Planung zusätzlicher Zeitbedarfe, der Vernetzung mit relevanten Akteur*innen oder der Ansprache und (Bildungs-)Beratung der jeweiligen Adressat*innen. Auf diese Herausforderungen hat der Volkshochschulverband Baden-Württemberg bereits 2018 mit einem Projekt reagiert, das den Blickwinkel auf Menschen in prekären Lebenslagen richtet und versucht, diese Zielgruppe über konkrete Praxisprojekte mit der Methode der Fokusgruppenarbeit anzusprechen. Darüber hinaus wurde in den Jahren 2019 bis 2021 im Projekt „Lernen fürs Leben“ ausgelotet, inwiefern die aufsuchende Bildungsarbeit in Kooperation mit den Beratungsstellen der Caritas zum Erfolg führen kann. Diese Perspektiven wurden 2020 im vom Kultusministerium Baden-Württemberg finanzierten Projekt „Aufsuchende Bildungsarbeit: Mehr Chancengleichheit und Teilhabe“ aufgegriffen und erweitert. Neben der Erprobung methodischer Ansätze in konkreten Praxisprojekten reagiert dieses noch bis 2022 laufende Projekt auch darauf, dass die dauerhafte Verankerung von aufsuchender Bildungsarbeit einer Organisations- und Personalentwicklung in Einrichtungen der Erwachsenenbildung bedarf. Um diese Entwicklungsprozesse anzustoßen und den dazugehörigen Perspektivenwechsel einzuleiten, wurde im Rahmen des Projekts ein Fortbildungskonzept entwickelt. Diese Fortbildung zielt darauf ab, Fachkräfte der Erwachsenenbildung im Hinblick auf die Relevanz sowie die Erfordernisse und Herausforderungen einer aufsuchenden Bildungsarbeit zu sensibilisieren. Damit sind sowohl diejenigen Fachkräfte adressiert, die aufsuchende Bildungsangebote organisatorisch planen (Leitungen und hauptamtliche pädagogische Mitarbeitende), was auch Fragen der strukturellen Vernetzung mit anderen Institutionen im Sozialraum sowie der Finanzierung umfasst, als auch Fachkräfte, die diese Angebote gemeinsam mit den Adressat*innen umsetzen, sich also in deren Lebenswelten begeben und dort niedrigschwellige Bildungsangebote durchführen (Kursleitungen). Um diesen beiden Perspektiven Rechnung zu tragen, werden in dem Fortbildungskonzept drei Perspektiven eingenommen: ein Subjekt- und Milieubezug, der auf die direkte Interaktion mit den Adressat*innen fokussiert, ein Raum- und Strukturbezug, der nach einer sozialräumlichen Perspektive auf Bildungsprozesse und deren Umsetzung in der Praxis fragt, sowie ein Organisationsbezug, der die dafür notwendigen Wandlungsprozesse in Einrichtungen der Erwachsenenbildung thematisiert. Zudem sollen mit dem Fortbildungskonzept sowohl theoretisch-konzeptionelle Grundlagen zu aufsuchender Bildungsarbeit als auch erste praktische Handlungsanleitungen und Umsetzungsideen vermittelt werden. Aus der gleichzeitigen Berücksichtigung dieser beiden Dimensionen ergeben sich fünf Fortbildungsmodule: Im Zentrum von Modul 1 steht die Frage, warum sich Einrichtungen der Erwachsenenbildung überhaupt mit aufsuchender Bildungsarbeit befassen sollten. Um dies zu plausibilisieren, wird Bildung und Bildungsbeteiligung aus einer lebenswelt- und milieuorientierten sowie biografischen Perspektive betrachtet.

Basierend auf dieser Klärung setzt sich Modul 2 damit auseinander, wie der Schritt in die Lebenswelten der Adressat*innen gelingen kann und was es dabei aus einer sozialräumlichen Perspektive zu betrachten gilt.

Diese Bewegung einer aufsuchenden Bildungsarbeit hin zu den Adressat*innen ist zudem mit hohen Anforderungen an die persönlichen Kommunikations- und Reflexionsfähigkeiten verbunden, die in Modul 3 aus einer systemischen Perspektive thematisiert werden. Um gleichzeitig die sich im Zuge einer aufsuchenden Bildungsarbeit ergebenden organisationsbezogenen Herausforderungen zu reflektieren, widmet sich Modul 4 den entsprechenden Fragen, wie beispielsweise einer organisationsinternen Weiterentwicklung
von Leitbildern.

Eine Verschränkung der bisherigen Inhalte und den Übertrag auf die Praxis versucht Modul 5, in dem die Perspektive von Fachkräften aus bestehenden Projekten sowie die Erfahrungen von Teilnehmer*innen aufsuchender Bildungsarbeit einbezogen und diskutiert wird.

Während sich Modul 4 insbesondere an Leitungskräfte und hauptamtliche pädagogische Mitarbeitende richtet und Modul 3 insbesondere die Kursleitungen adressiert, richten sich die Module 1, 2 und 5 an beide Personengruppen. Das Fortbildungskonzept wird im Frühjahr 2022 erstmals durchgeführt.