Neue Wege der Kooperation: vhs und Unternehmen

Autor: Marc Seiffarth, Fachreferent Arbeit - Beruf 

Die Volkshochschulen verstehen sich als allgemeinbildende Einrichtungen, die sich durch ihre Angebotsbreite von spezialisierten Anbietern auf dem Weiterbildungsmarkt abgrenzen. Sie möchten zur persönlichen Entfaltung und gesellschaftlichen Teilhabe der*des Einzelnen befähigen.1 Dieser Kernbaustein der „Marke vhs“ sollte keinesfalls aufgegeben, jedoch regelmäßig hinterfragt und neu konkretisiert werden.

 

Was wir mitbringen – allgemeine und berufliche Weiterbildung in Breite und Tiefe

Diese Mission der Volkshochschulen ist der Grund, warum der Anschluss an das Feld beruflicher Weiterbildung so notwendig wie naheliegend ist, denn: Gesellschaftliche Teilhabe ist heute maßgeblich rückgebunden an Teilhabe an der Arbeitswelt. Bildung wird vom Individuum gerade dann als besonders fruchtbar erfahren, wenn sie sozialen Aufstieg ermöglicht; letzterer ist zumeist an Wirksamkeitserfahrungen in der Arbeits- und Berufswelt gekoppelt. Berufliche Bildung entsteht generell aus dem Erwartungshorizont von Individuen, die sich selbst im Spannungsfeld von Fremd- und Selbststeuerung wahrnehmen. Fremdgesteuert ist man, insofern Qualifizierung als (hartes) Erfordernis in der Erwerbsbiografie verlangt wird, selbstgesteuert hingegen dort, wo „Wissens- und Handlungsmuster auf unterschiedliche Handlungssituationen übertragen und hierbei eigenständige – auch wertebezogene – Lösungen“2 erarbeitet werden können. Im weiteren Sinn umfasst berufliche Bildung also das, was die*der Einzelne bzw. ein Unternehmen als beruflich funktionalisierbare Kompetenz3 begreift: Sie beinhaltet Fertigkeiten, Wissen sowie Qualifikationen, ist jedoch stärker auf anwendungsbezogenes Handeln ausgerichtet als die kontextunabhängige Allgemeinbildung.

 

Wohin wir wollen - berufliche Bildung in und mit Unternehmen 

Die Herausforderung, sich rasch wandelnde Kompetenzprofile anzueignen, ist durch die COVID-19-Pandemie für die gesamte Gesellschaft besonders deutlich geworden. Das Feld digitaler Kompetenzerweiterung stellt hierbei ein zentrales Themenfeld dar. Jenseits konventioneller Kursangebote kann die vhs sich erfolgreich positionieren, indem sie flexibel, z.B. auch mit hybriden Kursformaten, auf räumlich wie programmspezifisch entgrenzte Bedarfe reagiert. Was ‚interdisziplinär‘ in der konkreten Programmgestaltung ist, entscheidet weniger die programmplanende Person, vielmehr legen dies die  ursteilnehmenden selbst gemäß der eigenen Interessenlage (oder Qualifikationsabsicht) fest.4

Nie standen die Zeichen günstiger für die berufliche Weiterbildung an den Volkshochschulen als jetzt. Die Volkshochschulen haben sich im Laufe der Zeit stets als wandlungs- und anpassungsfähige Bildungseinrichtungen erwiesen, indem sie Trends, Leitthemen und Schlüsselkompetenzen der jeweiligen Zeit aufgegriffen und diese Individuen unterschiedlicher Bildungsnähe zugänglich gemacht haben. Warum nicht auch heute, warum nicht auf einem Arbeitsmarkt, der sich zunehmend diversifiziert und nach Jahrzehnten der Fachkräftespezialisierung nun universell anwendbare Kernkompetenzen fokussiert? So fordert etwa die baden-württembergische Landesregierung in ihrer ressortübergreifenden Weiterbildungsoffensive WEITER.mit.BILDUNG@BW im Februar 2021: „Digitale Grundbildung soll so auch geringer qualifizierten Erwerbstätigen als Kernkompetenz vermittelt werden.“5

 

Wie wir attraktiv werden bzw. bleiben - Interdisziplinarität und Spezialisierung 

Die Volkshochschulen sind in ihrer Programmbreite einzigartig und vielfältig regional bzw. kommunal vernetzt. Dieser Vorteil sollte unbedingt genutzt werden, um Angebote aus verschiedenen Programmbereichen zu passgenauen Formaten für die jeweilige Zusammenarbeit mit externen Auftraggeber*innen zu kombinieren – das Rückenyoga mit Resilienztraining für Berufstätige, der Business-Englisch-Kurs zur Konfliktlösung am Arbeitsplatz, der niederschwellige Einstieg in digitale Office-Kompetenzen für Migrant*innen. Wer solche Kurse mehrfach anbietet, sie erfolgreich verstetigt und mit der Zeit verfeinert und weiterentwickelt (mithilfe adäquaten Feedbacks), hat bei seinen Geschäftspartner*innen einen „Stein im Brett“, sodass gilt: einmal vhs, immer vhs.

Neben diesen „Crossover“-Themen gibt es immer noch eine hohe Nachfrage bei Kursen, die spezielle Fähigkeiten und ein konkret umgrenztes fachliches Wissen vermitteln. Das Segment betriebswirtschaftlich-kaufmännischer Weiterbildung, etwa in den Bereichen Finanzbuchführung, Bilanzierung oder betriebliche Steuerpraxis6, lässt bei den Unternehmen oder Individuen, die diesen Bereich nachfragen, eine hohe Kompetenzvermutung hinsichtlich der anbietenden vhs entstehen. Auch hier können die Volkshochschulen, etwa über arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, die gezielt Bedarfe vor Ort in der Region adressieren, einen Qualitätsvorsprung gegenüber anderen Weiterbildungsträger*innen erzielen.

Am Ende dieser Überlegungen wird deutlich: Berufliche Weiterbildung kann auf dem Fundament der allgemeinen Weiterbildung an den Volkshochschulen vorzüglich gedeihen und die vhs hierbei als attraktive Anbieterin für betriebliche Weiterbildung wahrgenommen werden. Dafür ist weniger eine klare Programmbereichsabgrenzung erforderlich, wohl aber ein stimmiges, einladendes Marketing, ein hoher Wiedererkennungswert sowie Professionalität. Die Volkshochschulen in Baden-Württemberg haben hier mit dem Entwicklungsplan „vhs 2022“ einen guten und nachhaltigen Weg eingeschlagen, um langfristig als wichtige und verlässliche Partnerinnen in der beruflichen Weiterbildung wahrgenommen zu werden.

 

(1) Vgl. das Leitbild der Volkshochschulen in Baden-Württemberg: https://www.vhs-bw.de/wir-ueber-uns/vhs-verband/leitbild.pdf
(2) Norbert Vogel: Digitale Souveränität braucht Bildung. Bildungstheoretische Impulse für die Erwachsenen- und Weiterbildung, in: Koziol/Vogel/Steib: Bildung und Medienkompetenz. Wege zur digitalen Souveränität (= Mensch und Digitalisierung 4), München 2020, S. 9-47, hier S. 18.
(3) Zum Begriff der „Kompetenz“ bzw. dessen Konjunktur vgl. die konzise, noch immer zutreffende Darstellung in: Christiane Schiersmann: Berufliche Weiterbildung. Wiesbaden 2007, S. 50-59, hier besonders S. 50f.
(4) Vgl. Sebastian Lerch: Interdisziplinarität als Merkmal erwachsenenpädagogischen Denkens und Handelns?, in: Hessische Blätter für Volksbildung 3/2021, S. 13-22, hier S. 20.
(5) Vgl. https://www.baden-buerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/umfassende-weiterbildungsoffensive-beschlossen/, abgerufen am 23.09.2021.
(6) Ein solches Angebot können die Volkshochschulen durch das bundesweite, modulare System für kaufmännische und betriebswirtschaftliche Weiterbildung, XPERT Business, unkompliziert abbilden: https://www.xpert-business.eu/de/index.html.