Chancen und Perspektiven 

Autor*innen: Andrea Bernert-Bürkle, Fachreferentin EU-Projektberatung;  
Marc Seiffarth, Fachreferent Arbeit - Beruf 

Die Gefahr geflügelter Worte besteht darin, nicht mehr ernstgenommen bzw. auf eine Floskel reduziert zu werden. Die Redewendung, Krisen als Chancen zu sehen, steht exemplarisch hierfür: Oft wird sie bemüht, um der durch die Corona-Thematik an ihre Belastungsgrenzen gebrachten Gesellschaft neue Zuversicht zu spenden. Selten wird der hieran geknüpfte Optimismus in eine reale, konkrete und sinnvolle Perspektive umgemünzt, denn: Die Umwertung der Krise zur Chance, die zunächst und primär eine Frage der eigenen Sichtweise auf die Realität darstellt, geschieht nicht mit einem Mal. Es sind oft längere und sehr individuelle Wege, die Schritt um Schritt gegangen werden müssen.

 

Von Krisen und Chancen 

Die Volkshochschulen sind aufgrund ihrer besonders ausgeprägten regionalen bzw. städtisch-kommunalen Verankerung prädestiniert, spezifische Chancen in ihrer Umgebung wahrzunehmen und zu nutzen. Gerade im Sommer 2021, als man sich nach monatelangem „Lockdown“ neu sortieren musste, waren die Volkshochschulen sehr experimentierfreudig. Sobald bekannte, ausgetretene Pfade verlassen werden, kann neues Potenzial erschlossen werden. Potenzialanalysen der eigenen Einrichtung, etwa wie vom Landesverband zum Thema der „agilen und analogitalen vhs“ durchgeführt, können bei der Erschließung und sukzessiven Umsetzung eigener Möglichkeiten helfen.

Alternative Angebote, jenseits der konventionellen Kursplanung, stellen die vhs für die Zukunft robuster auf. Neben dem Angebot arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen rücken zunehmend maßgeschneiderte Kursangebote für Unternehmen in den Mittelpunkt. Betriebliche Weiterbildungsangebote in Unternehmen bieten auch für Volkshochschulen interessante Perspektiven. Viele vhs bieten schon seit längerer Zeit – und erfolgreich – Inhouse-Kurse für Firmen und öffentliche Einrichtungen an. Wissen kann hier passgenau und individuell vermittelt werden – was die vhs wiederum von der Konkurrenz abhebt.

 

Neue Möglichkeiten im Programmangebot 

Aufgrund der pandemiebedingten Veränderungen, aber auch im Kontext der Digitalisierung und Automatisierung besteht derzeit erheblicher Qualifizierungsbedarf in Firmen. Das offene vhs-Kursangebot ist dabei nicht immer passend. Vielmehr benötigen Mitarbeitende aus Unternehmen und Verwaltungen individuelle Unterstützung mit Blick auf Anforderungen an ihrem persönlichen Arbeitsplatz. Um den spezifischen Fortbildungsbedarf zu ermitteln, können Volkshochschulen Serviceangebote bündeln und zum Beispiel individualisierbare Bildungsangebote mit einer umfassenden Weiterbildungsberatung in Betrieben verknüpfen. Dabei werden Arbeitsplatzbeschreibungen und Tätigkeitsabläufe analysiert und Qualifizierungsbedarfe erfasst. Im Rahmen des Landesnetzwerks Weiterbildungsberatung Baden-Württemberg und des EU-Projekts „BRIDGE“ wurden Tipps und Instrumente entwickelt, die bei der Weiterbildungsberatung in Unternehmen und Verwaltungen genutzt werden können.

Doch dies sind nicht die einzigen Gebiete, in denen die Volkshochschulen expandieren: Digitalisierung als notwendige Voraussetzung für viele Innovationsprozesse vor Ort, Grundbildung als Signal der Bereitschaft, bereichsübergreifend niedrigschwellige Angebote zu platzieren oder eine zielführende Weiterbildungsberatung, organisiert z.B. über das Landesnetzwerk Weiterbildungsberatung Baden-Württemberg.

 

ESF-Förderung als Anreiz 

Der Auf- und Ausbau von Firmenangeboten an Volkshochschulen bietet sich aktuell auch deshalb an, weil ein neues Förderprogramm betriebliche Weiterbildungsangebote in Unternehmen in Baden-Württemberg in den kommenden zwei Jahren mit einer 50-Prozent-Förderung unterstützt. Die Europäische Union (EU) möchte mit dem Programm REACTEU die Folgen der COVID-19-Pandemie abmildern. In Baden-Württemberg werden die REACT-EU-Mittel im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF) eingesetzt. Bildungsträger* innen beantragen Mittel für maßgeschneiderte Kursangebote, die sie in Betrieben durchführen möchten. Förderfähig sind Kurse für Mitarbeitende aus jeweils einem Betrieb, die als Inhouse-Maßnahme im Unternehmen oder bei einer Bildungseinrichtung durchgeführt werden.

Gefördert wird ein breites Spektrum beruflicher Fortbildungen von fachlichen Qualifizierungen wie kaufmännischen Kursen über EDV-Kurse bis hin zu Führungskräfteschulungen. Auch Weiterbildungen im Bereich Soft Skills, z.B. zu Themen wie Zeit- und Projektmanagement, sowie berufsbezogene Deutschkurse können gefördert werden. 

 

Konstruktive Kooperation 

Ein weiterer Weg, den Volkshochschulen künftig vielleicht noch konsequenter beschreiten sollten, ist derjenige der Kooperation: mit anderen vhs, mit Unternehmen vor Ort, mit öffentlichen Einrichtungen. Potenzial kann es überall geben, Netzwerk- und Synergiegedanken sollten dabei vorherrschend sein. Viele Volkshochschulen vernetzen sich bereits sehr erfolgreich beim Thema Qualitätsmanagement. Sei es im Rahmen einer Gruppenzertifizierung im verbandseigenen Verfahren ZBQ oder für die gemeinsame Konzeption einer AZAV-Maßnahme im Rahmen unseres AZAV-Verbunds. Zusammenarbeit erweitert den eigenen Horizont und die eigenen Spielräume, macht erreichbar, was allein (noch) nicht erreichbar ist.