Die Teilnehmenden, die Kursleitenden und die öffentliche Förderung

Autor: Dr. Hermann Huba, Verbandsdirektor, Volkshochschulverband Baden-Württemberg

I.      Marketing

Zukunftsorientierte Sportvereine setzen neben der Mitgliedschaft längst auf offene Angebote für Nicht- Mitglieder. Schließlich leben wir in Zeiten abnehmender Bindungsbereitschaft. Deshalb kann Kunden- oder besser: Teilnehmer/innen-Bindung im Weiterbildungsbereich nicht formale Bindung an die Institution bedeuten, sondern allenfalls deren nonformale Attraktivität: Tiefe Teilnehmer/innen-Bindung durch hohe Dienstleistungsqualität, so wohl lautet die Aufgabe der Volkshochschule.

Diese Aufgabenstellung verlangt Marketingüberlegungen, die von Mailing-Aktionen über eine vhs-Card bis zur Präzisierung von Zielgruppenansprachen reichen. Zumal in Zeiten sinkender öffentlicher Förderung und wachsender Konkurrenz sind solche Überlegungen wichtig und richtig. Aber sie bleiben technisch- instrumentell. Wichtiger erscheinen zwei prinzipielle Überlegungen, nämlich ein Blick auf das Angebot und ein Blick auf die Kursleitenden.

 

II.     Teilnehmende und Angebot

1. Aller Ideologie  entkleidet,  bedeutet  die  gesellschaftliche Erwartung lebenslangen bzw. lebensbegleitenden Lernens soviel wie: Weil niemand weiß, wie es weitergeht, müssen sich die Menschen ständig verändern. Was für Institutionen gilt, gilt auch für Personen: Nicht mehr der Veränderer trägt die Argumentations- und Beweislast für die Überlegenheit des Neuen, sondern derjenige, der im überkommenen Rahmen fortfahren will, muss dartun und belegen, dass Kontinuität verantwortbar ist.

In dieser – soziologischen – Fassung wird die Tragweite der gegenwärtigen Umstellung auf lebensbegleitendes Lernen sehr deutlich: Genau genommen ist es ein radikaler Wechsel von Vergangenheit auf Zukunft als orientierende Zeitdimension und eine nicht leicht zu ertragende Zumutung ständiger Veränderungsbereitschaft. Und der Preis für die Radikalität dieses Wechsels ist die Leere des Lernbegriffs.

Dieser leere Lernbegriff entleert auch den Bildungsbegriff und schließt es aus, die Zukunftsfähigkeit von Weiterbildungseinrichtungen  nach den Zielen und Inhalten ihres Angebots zu entscheiden. Nicht was Volkshochschulen wollen und was sie anbieten bestimmt ihren Erfolg, sondern wie sie ihre Ziele verfolgen und wie sie ihr Angebot herstellen.

Die Existenzfrage ist also – im Anschluss an Schäffter – die Organisationsfrage: Wie (gut) gelingt es der  Einrichtung,  die biographischen und milieuspezifischen Aneignungsstrukturen der Adressaten abzutasten und mit bestehenden oder neuartigen Lernmöglichkeiten zu beantworten?

Je überzeugender die Antwort auf diese Organisationsfrage künftig ausfällt, desto sicherer ist die Nachfrage nach dem vhs-Angebot und damit die bindende Wirkung.

2. Die  Teilnehmenden  interessieren  sich  indessen nicht nur für das inhaltlich-sachliche Angebot, sondern auch für die räumlichen Gegebenheiten, das Ambiente der vhs, und vor allem für die möglichen Begegnungen mit anderen Menschen, seien es Mitteilnehmende, Kursleitende oder Dritte.

Diese soziale Dimension von Bildung kann angesichts der  Tradition  der  Volkshochschulen  gar nicht stark genug betont werden. Lernen im Sinne der Aneignung von Wissen mag man – häufig mit Hilfe elektronischer Medien – auch alleine können, nur schwer vorstellbar ist aber: Bildung ohne Begegnung.

 

III.    Teilnehmende und Kursleitende

Einen sehr wesentlichen Anteil an der Attraktivität der vhs haben die Kursleitenden. Zum einen, weil die Kursleiter/- innen die vhs repräsentieren und zum andern, weil sie dies gleichsam „an der Front“ tun.

1.  Repräsentationsfunktion

Angesichts elektronischer Möglichkeiten der Anmeldung und sonstiger Kommunikationen, ist der einzige Mensch, dem man als vhs-Teilnehmer/-in sicher unmittelbar persönlich begegnet, die  Kursleitung. Sie prägt den Eindruck von der Einrichtung, ja sie ist die Verkörperung der Volkshochschule. Ihre Schwächen sind vhs-Schwächen, ihre Stärken sind vhs- Stärken.

2.  Das Frontproblem

Die unmittelbare persönliche Begegnung mit der Kursleitung findet in der Situation statt, auf deren Gestaltung hin die gesamte Weiterbildungseinrichtung ausgerichtet ist oder wenigstens ausgerichtet sein sollte, nämlich in der Lehr- / Lern-Situation, dem andragogischen Kernprozess. Diese Situation ist einmalig, unwiederholbar und durch die Einrichtung praktisch nicht kontrollierbar. Was der einzelne Teil- nehmende hier an Sensibilität und Kompetenz der Kursleitung erfährt, befördert seine Selbstveränderung  und  was  hier  nicht  wahrgenommen  oder nicht  beantwortet  wird,  behindert  sie. Dabei liegt die Reichhaltigkeit der singulären Begegnungssituation außerhalb der Steuerungsmöglichkeiten der Einrichtung. Sie erschließt sich nur der fachlichen, sozialen und emotionalen Kompetenz der Kursleiter/-innen.

3.  Das Statusproblem

Angesichts der prägenden Bedeutung der Kursleitung für die Darstellung und den Erfolg der Einrichtung, sollte man erwarten, dass Kursleitungen fest angestellte Mitarbeiter/-innen der Volkshochschule sind. Damit wäre die Identifikation der Kursleitung mit der Einrichtung ebenso gesteigert wie umgekehrt die Einflussmöglichkeiten der Einrichtung auf die Kursleitung.

Andererseits bedeutete dieser Status zugleich das Ende von Volkshochschule. Der öffentliche Auftrag der vhs geht nämlich dahin, für möglichst alle Schichten und Milieus, in allen sinnvollen Formen, zu allen denkbaren Zeiten und mit allen Erfolg versprechenden Methoden jeden erforderlichen Inhalt vorzuhalten. Diese Verpflichtung auf soziale, methodische und sachliche Generalität ist nicht mit einem festen Stamm an Lehrpersonal zu leisten, sondern nur mit einer prinzipiell unbegrenzten Anzahl wechselnder Spezialist/-innen.

Das ist der zentrale Grund, weshalb vhs- Kursleitungen im (scheinbaren) Widerspruch zu ihrer überragenden Bedeutung für die Einrichtung den Status freier Mitarbeiter/-innen haben.

Umso wichtiger ist freilich die ideelle Bindung der Kursleitenden an „ihre“ vhs und daneben die Honorierung der Kursleitenden als ein Ausdruck ihrer Wertschätzung.

 

IV.   Öffentliche Förderung

Nun ist bekannt, dass es mit der Honorierung der Kursleitenden häufig nicht zum Besten bestellt ist. Oder genauer gesagt: Die Kursleitertätigkeit ist teilweise eine quasi-ehrenamtliche Tätigkeit, weil die bezahlten Honorare der erbrachten  Leistung  nicht  voll entsprechen. Das liegt vor allem daran, dass sich die Volkshochschulen in Baden-Württemberg bereits heute zu 65 Prozent selbst finanzieren müssen. Die dürftige öffentliche Förderung zwingt die Einrichtungen also dazu, ständig um einen Ausgleich zu kämpfen zwischen eben noch zumutbaren Teilnahmeentgelten und gerade noch verantwortbaren Kursleiterhonoraren.

Eine weiter sinkende öffentliche Förderung machte diesen Ausgleich immer unmöglicher. Die voraussehbare Folge wäre der Verlust qualifizierter Kursleitenden. Das aber wegen des hohen ideellen Engagements unserer  Kursleitenden  erst in  zweiter Linie. In erster Linie bedeutete eine weiter sinkende öffentliche Förderung eine Verschärfung der bereits beobachtbaren sozialen Auslese zu Lasten Schlechterverdienender. Damit würde die in der Pisa-Studie festgestellte hohe soziale Selektivität unseres Schulsystems vollends auch in der Weiterbildung Platz greifen.

Deshalb kämpfen die Volkshochschulen – auch angesichts knapper öffentlicher Kassen – für den Erhalt und den dringend notwendigen Ausbau der öffentlichen Förderung der Weiterbildung, nämlich im Interesse der gesamten Bevölkerung.