Die Zukunft der Weiterbildung – Die Volkshochschule der Zukunft*

Autor: Dr. Hermann Huba, Verbandsdirektor, Volkshochschulverband Baden-Württemberg

Die Zukunft ist ungewiss. Das unterscheidet sie von der Vergangenheit und der Gegenwart. Die Ungewissheit der Zukunft zu bannen, haben die Menschen seit jeher versucht. Frühe Gesellschaften durch Magie, spätere durch Religion. Seit der Aufklärung versuchen wir es mit Bildung. Und zur Zeit speziell mit lebenslangem Lernen.  Lebenslanges  Lernen  heißt  demnach  soviel wie: weil keiner weiß, wie es weitergeht, müssen sich die Menschen ständig verändern.

Wenn diese Beobachtung zutrifft, birgt das Thema: Die Zukunft der Weiterbildung – Die Volkshochschule der Zukunft, eine Falle: Je mehr man zu diesem Thema sagen kann, je gewisser die Zukunft also erscheint, desto überflüssiger wird Weiterbildung. In diese Falle nicht zu tappen, erfordert eine doppelte Unterscheidung. Zum einen soll nicht unvermittelt über die Zukunft im Sinne zukünftiger Gegenwart gesprochen werden, sondern lediglich über die gegenwärtige Zukunft. Und zum anderen soll nicht von der gegenwärtigen Zukunft die Rede sein, sondern lediglich der Versuch unternommen werden, einzelne Korridore in diese gegenwärtige Zukunft zu treiben.

 

1. Korridor: Technik

Der gegenwärtige Medienoptimismus und die herrschende Netzeuphorie legen den Gedanken nahe, die technische Entwicklung erlaube es zukünftig jedermann, jede gewünschte Information multimedial jederzeit im Netz abzurufen. Bedarf es unter diesen Bedingungen noch exklusiver öffentlicher Orte der Weiterbildung wie die Volkshochschulen sie darstellen?

Einer von der Bertelsmann Stiftung und dem Deutschen Volkshochschul-Verband in Auftrag gegebenen aktuellen emnid-Repräsentativerhebung zu Folge sind nur ca. 30 Prozent der Bevölkerung an der Lernform Telelernen interessiert und können sich von diesem Personenkreis wiederum lediglich knapp 44 Prozent vorstellen, in nächster Zeit online zu lernen.

Neben dieses quantitative Argument zu Gunsten institutionalisierter Weiterbildung und damit zu Gunsten der Volkshochschule tritt ein inhaltliches. Einmal ist die Aufnahme von Information noch nicht Lernen und Lernen noch nicht Bildung. Lernen setzt die Fähigkeit zur Auswahl von Informationen und zu deren Verknüpfung voraus und Bildung darüber hinaus die Fähigkeit zu wertenden Beurteilungen.

Zum anderen kann e-Learning seine Voraussetzungen nicht selbst schaffen und nicht garantieren. Man muss das Lernen andernorts gelernt haben, um im Netz lernen zu können. Nicht ohne Grund wird das Internet als Informationsquelle vor allem von den formal Hoch- und Höchstqualifizierten genutzt.

Die institutionengestützte Steigerung der Lernfähigkeit, das soziale Lernen des Lernens also, wie es die Volkshochschulen anbieten, ist auch künftig unverzichtbar. Für   die   einen   als   notwendige   Voraussetzung  für e-Learning, für die anderen als alleine entscheidender Lernmodus.

 

2. Korridor: Ökonomie

Wie eingangs erwähnt, bedeutet die Rede vom lebens- langen bzw. lebensbegleitenden Lernen genau besehen lediglich, dass sich, weil keiner weiß, wie es weiter geht, die Menschen ständig verändern müssen.

Dieser leere Lernbegriff führt natürlich viele in Versuchung, ihn zu füllen. Insbesondere das derzeit dominante gesellschaftliche Teilsystem, die Wirtschaft, er- liegt dieser Versuchung. Wäre sie dabei noch etwas erfolgreicher als sie es schon ist, bedeutete Lernen bald nur noch reine Anpassungsqualifizierung, also die Anpassung der Menschen an die vor allem technisch bedingten Veränderungen in der Wirtschafts- und Arbeitswelt. Indes, auch die Wirtschaft weiß nicht, was die Zukunft bringt. Deshalb darf es eine einseitige, an aktuellen Nützlichkeitsgesichtspunkten und unmittelbarer Zweckdienlichkeit orientierte Steuerung des Angebots an Weiterbildung durch sie nicht geben.

Auch wenn die berufliche und berufsorientierte Weiterbildung an Volkshochschulen deutlich zunehmen wird und – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen – auch deutlich zunehmen muss, dürfen die Erfordernisse der Wirtschafts- und Arbeitswelt alleine die Weiterbildung nicht bestimmen. Das Weiterbildungssystem ist keine Qualifizierungsmaschine. Sein Angebot muss vielmehr ein umfassendes sein, also auch Angebote personalen Orientierungswissens umfassen und Angebote zur sozialen Entfaltung, wie Kommunikation, Engagement, Aktivität und Begegnung.

Auch wenn die berufliche und berufsorientierte Weiterbildung an Volkshochschulen deutlich zunehmen wird und – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen – auch deutlich zunehmen muss, dürfen die Erfordernisse der Wirtschafts- und Arbeitswelt alleine die Weiterbildung nicht bestimmen. Das Weiterbildungssystem ist keine Qualifizierungsmaschine. Sein Angebot muss vielmehr ein umfassendes sein, also auch Angebote personalen Orientierungswissens umfassen und Angebote zur sozialen Entfaltung, wie Kommunikation, Engagement, Aktivität und Begegnung.

 

3. Korridor: Spezialisierung

Der öffentliche Auftrag der Volkshochschule geht nicht dahin, Facheliten auszubilden. Diese Aufgabe fällt in unserem Bildungssystem den Universitäten und Fachhochschulen zu. Volkshochschule, die diesen Namen verdient, ist eine Bildungseinrichtung für das Volk, das heißt etwas moderner formuliert: eine Bildungseinrichtung für die Allgemeinheit. Dafür, dass es bei diesem Auftrag bleiben wird und bleiben muss, spricht die folgende Überlegung.

Die einzelnen Wissenschaften, insbesondere die Naturwissenschaften produzieren auf Grund ihrer Spezialisierung ständig neues Wissen, das darüber hinaus zunehmend ethische Fragen aufwirft, die die Gesellschaft beantworten muss.

Die Beantwortung dieser Fragen setzt in einem demokratischen Gemeinwesen eine informierte und entscheidungsfähige Gesellschaft voraus. Unsere Gesellschaft indessen besteht aus Menschen wie wir alle, nämlich aus Menschen, die in einem engen Bereich über spezielles Wissen und über spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen, ansonsten aber blutige Laien sind.

Deshalb bedürfen wir alle zukünftig mit steigender Dringlichkeit einer Einrichtung, die Spezialwissen und – nicht zu vergessen – auch eine höchst anspruchsvolle Kunst und Kultur übersetzt in unseren Verständnishorizont, mithin allgemeinverständlich macht. Diesen Transfer wird die Volkshochschule verstärkt leisten müssen.

Ihre Nicht-Spezialisierung ist der Volkshochschule als mangelnde Professionalität häufig zum Vorwurf gemacht worden. Das ist danach ein grobes Missverständnis. Es ist geradezu die Aufgabe der Volkshoch- schule, in einer Welt zunehmender Spezialisierung den Anspruch auf Allgemeinverständlichkeit und  insofern den Anspruch auf Überblick aufrecht zu erhalten und zu erfüllen. Oder, um es paradox zu formulieren: Die Spezialität der Volkshochschule ist – und muss bleiben – ihre Generalität.

 

4. Korridor: Globalisierung

Ein Blick auf den Weg zu einem vereinten Europa zeigt, wie sehr die Ausdehnung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Räume ein komplementäres Bedürfnis nach überschaubaren Einheiten weckt. Deshalb ist eine Gesellschaft, die den Weg der Globalisierung geht, auf weltoffene Kommunalität angewiesen.

Weltoffene Kommunalität bedeutet dabei nicht mehr, aber auch nicht weniger als begegnungsfähige Identität. Und Begegnungsfähigkeit wie die ja nur aus dem Vergleich zu gewinnende Identität verweisen beide auf die Notwendigkeit der Begegnung mit dem Unbekannten, dem Anderen, also auf die Notwendigkeit der Begegnung mit den Sachen und mit anderen Menschen. Nur die individuelle und kollektive Steigerung dieser Begegnungsfähigkeit berechtigt  unsere  Gesellschaft  zu der Hoffnung, für die zukünftige Gegenwart gerüstet zu sein.

 

Ergebnis

Vier Groß-Trends sind es, die nach alledem die gegenwärtige Zukunft der Gesellschaft und damit auch der Weiterbildung vor allem bestimmen: die Technisierung, die Ökonomisierung, die Spezialisierung und die Globalisierung.

Will die Volkshochschule der Zukunft dieser Entwicklung – im besten Sinne des Wortes – begegnen, darf sie nicht weniger, muss sie aber auch nicht mehr tun, als  ihren  traditionellen  Auftrag  sehr  genau  und  sehr ernst  zu  nehmen. Das klingt traditionalistisch, ist  es aber nicht. Wirkliche Veränderung beginnt immer damit, das Gegebene sehr genau und sehr ernst zu nehmen.

 

* Herrn Prof. Dr. Gerd Roellecke zum 75. Geburtstag